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Polt muss weinen

Polt muss weinen

Titel: Polt muss weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Komarek
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Polt. »Ich bin in Zivil. Sehen Sie das nicht?«
    Er war nur wenige Schritte gegangen, als er das verhaltene Blubbern eines schweren Motorrades neben sich hörte. Mike Hackl bremste, schob das Visier seines Sturzhelmes nach oben und grinste Polt, der sich ihm zugewendet hatte, ins Gesicht. »So ein Zufall«, bemerkte dieser behäbig.
    »Kein Zufall«, entgegnete Mike. »Ich habe auf Sie gewartet, weil ich wissen wollte, was mit dem Bernie passiert. Außerdem bist du verhaftet, Bulle!« Er deutete auf sein Motorrad. »Aufsitzen. Ich hab sogar einen zweiten Helm mitgebracht, X large.«
    »Rauhe Sitten, bei euch Rowdies«, sagte Polt wohlgelaunt, verbog sich ein Ohr, als er den Helm aufsetzen wollte, schaffte es dann aber doch und nahm ein wenig ungeschickt hinter Mike Platz.
    »Haben Sie eine Ahnung, wo man ungestört reden kann?« fragte der Biker über die Schulter nach hinten.
    »Klar. Fahr erst einmal die Burgheimer Kellergasse hinauf und dann zur Grenze hin.«
    »Warum nicht?« Mike drehte kaum merklich den Gasgriff, und schon war das seltsame Paar unterwegs.
    Polt fragte sich unwillkürlich, was Fräulein Walter, die junge Lehrerin, von ihm denken würde, könnte sie ihn so sehen. Dann aber konzentrierte er sich auf das ihm unbekannte Fahrgefühl, und er spürte, wie Mike sein Fahrzeug mit spielerischer, doch präziser Leichtigkeit beherrschte. Weder auf dem Fahrrad noch im Auto war ihm bisher aufgefallen, daß man eine sinnliche, ja erotische Beziehung zu Straßenbiegungen entwickeln konnte, daß im Wechselspiel von Schwerkraft, Fliehkraft und Bewegung eine Fülle von Genüssen lag, die sich bürgerlichen Maßstäben weitgehend entzogen.
    Mike fuhr gemächlich durch die lange, deutlich ansteigende Burgheimer Kellergasse. Als die beiden oben bei den letzten Preßhäusern angelangt waren, dehnte sich vor ihnen unbebautes Land in flachen Wellen, und die schmale Straße führte schnurgerade nach Norden.
    »Festhalten«, sagte Mike ruhig.
    Im nächsten Moment schien es Polt, als bäume sich das Motorrad auf wie ein wildes Pferd, und eine wütende Kraft wollte ihn nach hinten vom Sitz zerren. Während er sich, so gut es ging, am Fahrer festklammerte und angstvoll wahrnahm, wie die Landschaft rasend schnell an ihm vorbeizog, konnte er gleichzeitig nicht umhin, daran zu denken, daß diese Art, dem irdischen Jammertal in Richtung Jenseits zu enteilen, immerhin Dynamik und Stil hatte.
    Es war nur eine ganz kleine Ewigkeit vergangen, als Mike anfing, das Tempo zu verringern, und schließlich das Motorrad vor einem Schild ausrollen ließ, auf dem »Achtung! Staatsgrenze in der Wegmitte« zu lesen war. »Und weiter?«
    »Nach rechts, die Grenze entlang«, sagte Polt mit spröder Stimme. »Es geht dann ziemlich steil hinunter, und dort, wo du ein paar verlassene Gebäude stehen siehst, sind wir am Ziel.«
    Die halbverfallenen Wohnhäuser und Stadel standen als Rest eines Dorfes da, dessen sudetendeutsche Einwohner nach dem Krieg vertrieben worden waren. Der Großteil der Ansiedlung lag dereinst auf tschechischem Gebiet und hatte einem breiten Grenzsicherungsstreifen weichen müssen. Auf österreichischer Seite hatte sich nie jemand um die Häuser gekümmert, und so waren sie allmählich ins Grün der Felder ringsum gesunken.
    Polt holte einen Apfel vom Baum, an dem Mikes Motorrad lehnte: »Den solltest du einmal kosten! Über fünfzig Jahre ohne Chemie.«
    Mike biß in den Apfel und schaute sich um. »Irre Ecke hier«, sagte er anerkennend. »Keine Ahnung gehabt, daß es so etwas hier gibt. Übrigens…«, fragte er unvermutet, »was halten Sie so von uns?«
    Der Gendarm dachte eine Weile nach. »Ich weiß nicht so recht. Jedenfalls macht ihr uns eine Menge Arbeit. Andererseits seid ihr auch keine Bande finsterer Bösewichter; schon eher ein leichtsinniger und ziemlich aggressiver Haufen.«
    Mike nickte langsam. »Das kommt wahrscheinlich ungefähr hin. Aber darum geht’s eigentlich nicht wirklich.«
    Simon Polt hatte sich auch einen Apfel genommen, kaute und hörte zu.
    »Das peinliche Ende vom Herrn Hahn läßt Sie nicht in Ruhe, hab ich recht?«
    »Und wenn dem so wäre?«
    »Sie wissen, daß wir mit ihm nicht eben befreundet waren«, fuhr Mike fort.
    »Wie war das eigentlich mit dem Fisch, damals?« fragte Polt wie nebenbei.
    »Das waren natürlich wir, genauer gesagt, ich war es.« Mike grinste. »Ich bin sogar nach Stockerau gedüst dafür. Dort habe ich einen dicken Karpfen gekauft und ihn zu Hause eine gute Woche

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