PolyPlay
seinem hochgestochenen Tonfall und zeigte dadurch an, dass er grundsätzlich zur Versöhnung bereit war.
»Und außerdem«, sagte Kramer, »kann er mich bei diesem Fall behindern wie er will. Der stinkt. Das spüre ich. Ich will den gar nicht. Woher wusste Akkermann überhaupt mal wieder so schnell Bescheid?«
»Ein Vöglein hat es ihm geflüstert, er konnt's nit überhören.«
Seit kurzem galt als sicher, dass die Stasi alle Festnetz-, Mobiltelefon- und Funkverbindungen sämtlicher Volkspolizeiabteilungen abhörte. Kramer hatte sich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnt, während Pasulke behauptete, er habe es schon immer gewusst.
Pasulke bog in die Warschauer Straße ein und bremste ruckartig ab, als er einen Parkplatz entdeckte. Sie wischten an dem Pförtner vorbei, der kaum aufsah. Das Treppenhaus stank nach den Fünfzigern, wie immer. Erster Stock links, drittes Büro rechts. Kramer stieß die Tür auf. Schumacher saß an seinem Terminal, Natschinsky stand hinter ihm. Schuhmacher drehte sich um. Er sagte: »Operation Neescherfett.« So war das in der Volkspolizeiinspektion Friedrichshain, Warschauer Str. 7, Abteilung Kriminalpolizei, Büro 1/14, MUK (Morduntersuchungskommission), am Morgen des 3. April 2000.
Kramer glaubte nicht, dass Schuhmacher ein echter Rassist war. Er wusste selbst nicht mehr so genau, wie das angefangen hatte mit diesem blöden Spruch, aber irgendwann vor vier, fünf Jahren war Schuhmacher darauf verfallen, jedes Mal, wenn er sich aufregte, wenn er überrascht war, wenn ihm die Worte fehlten, »Operation Neescherfett!« auszurufen. »Neescherfett«, so nannten manche in der DDR Zuckerrübensirup. Kramer verstand nicht, was Schuhmacher mit dem Spruch eigentlich ausdrücken wollte. Wahrscheinlich wollte er nur originell wirken. Kramer hatte das Ganze anfangs als eine dumme Marotte gesehen und ihn erfolglos zur Rede gestellt, schließlich hatte er resigniert. Rein technisch gesehen hätte er als Kopf der Morduntersuchungskommission Schuhmacher befehlen können, mit dem Quatsch aufzuhören, aber erstens war er auf seine Gruppe angewiesen und zweitens war Kramer nicht so.
Schuhmacher hatte den Spruch beim Eintreten Kramers und Pasulkes mit ungewohnter Zurückhaltung ausgestoßen. Als Kramer näher kam, sah er, warum. Auf dem Bildschirm von Schuhmachers nagelneuer Robotron R610-Station waren die Bilder der Spurensicherung zu sehen, live und in Farbe. Gerade filmte dort einer mit großer Hingabe die Füße der Leiche. Erstaunt bemerkte Kramer, dass die Leiche von Michael Abusch keine Schuhe trug. Warum war ihm das nicht vorhin schon aufgefallen? Aber konnte er sich nicht sogar an die Schuhe erinnern? Jemand von der Spurensicherung musste sie entfernt haben, obwohl das gegen die Vorschriften verstieß. Die neue Echtzeitausrüstung funktionierte jedenfalls hervorragend. Wenn Schuhmacher gewollt hätte, hätte er auch einen Tonkanal zuschalten können. Offensichtlich hatte er darauf verzichtet, um sich nicht auch noch die Kommentare der Kriminaltechniker live anhören zu müssen. Es wurde ohnehin alles auf Datenträger aufgezeichnet, zur gefälligen späteren Verwendung. Ja, die neue Echtzeitausrüstung funktionierte so gut, dass die Live-Übertragung von Michael Abuschs zermatschtem Kopf Schuhmacher wohl ein wenig die Laune verdorben hatte, so dass die »Operation Neescherfett« heute Morgen weniger fett ausfiel als sonst. Und Natschinsky, der stille Natschinsky, eine halb leere Kaffeetasse in der Hand, war noch ein bisschen stiller als sonst.
Die Kamera bewegte sich langsam an der Leiche entlang. In die Stille hinein sagte Schumacher plötzlich: »Dolle Sache.« Er sagte es nicht mit viel Überzeugung, sondern offensichtlich in der Hoffnung, ein Gespräch über die technischen Details seines neuen Spielzeugs anstoßen zu können. Aber niemand ging darauf ein. Es war eine dolle Sache, zweifellos. An den Fenstern mochten noch Rollos von Plaste & Elaste Schkopau aus den Siebzigern hängen, und die Büros waren zuletzt in prähistorischen Zeiten frisch gestrichen worden. Aber die Rechnerausstattung der Kommission machte gewaltige Fortschritte, genau wie die ganze neue DDR auf diesem Gebiet. Kramer konnte ja froh sein. Bei der Schupo, der Trapo und anderen Abteilungen murksten sie noch mit 8- und 16-bit-Schrott aus Alt-DDR-Beständen herum, demgegenüber befanden er und seine Leute sich auf einem anderen Planeten, computertechnisch gesehen. Die rechte Freude darüber wollte sich bei
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