Pompeji
erwacht waren. Auf der Straße hinter ihnen zeichnete sich in der Asche eine Bahn aus Rad- und Fußspuren ab.
Auf der einen Seite hörte Attilius vereinzeltes Krachen aus den Olivenhainen. Auf der anderen Seite schien die See, Myriaden von winzigen Fontänen aufwerfend, ins Kochen zu geraten. Steine prasselten auf die Straße vor ihm. Sein Pferd blieb stehen, senkte den Kopf und weigerte sich weiterzugehen. Plötzlich schien der Rand der Wolke, der noch fast eine halbe Meile entfernt gewesen war, auf sie zuzukommen. Der Himmel war dunkel und von wirbelnden Geschossen erfüllt, und binnen Sekunden wechselte der Tag von Nachmittagssonne in Zwielicht, und er geriet unter Beschuss. Keine harten Brocken, sondern weiße Schlacke, kleine Klumpen aus verfestigter Asche, die aus unvorstellbarer Höhe herabfielen und von seinem Kopf und seinen Schultern abprallten. Menschen und Karren tauchten aus dem Zwielicht auf. Frauen schrien. Das Licht der Fackeln verglomm in der Dunkelheit. Sein Pferd scheute und machte kehrt. Attilius hörte auf, ein Retter zu sein, und wurde zu einem Teil des in Panik geratenen Stroms von Flüchtlingen, die verzweifelt versuchten, dem niederprasselnden Geröll zu entkommen. Sein Pferd rutschte von der Straße in einen Graben und galoppierte in ihm entlang. Dann wurde die Luft heller, nahm eine bräunliche Farbe an, und plötzlich waren sie ins Sonnenlicht zurückgekehrt.
Alle Menschen hatten es jetzt sehr eilig, vorangetrieben von der Bedrohung in ihrem Rücken. Attilius wurde klar, dass nicht nur die Straße nach Pompeji unpassierbar war, sondern eine leichte Drehung des Windes die Gefahr westwärts um den Golf herum beförderte. Ein ältliches Paar saß weinend am Straßenrand, zu erschöpft, um noch weiter zu laufen. Ein Karren war umgestürzt, und ein Mann versuchte, ihn wieder aufzurichten, während seine Frau einen Säugling beruhigte und ein kleines Mädchen sich an ihre Röcke klammerte. Die flüchtende Menschenmasse strömte um sie herum, und Attilius wurde von ihr mitgerissen und auf die Straße nach Herculaneum zurückgedrängt.
Dass die Mauer aus herabstürzendem Gestein ihre Position veränderte, war an den Stadttoren bemerkt worden, und als er die Händler erreichte, packten sie gerade hastig ihre Waren ein. Die Menge löste sich auf; etliche Menschen suchten Schutz in der Stadt, andere strömten aus ihr heraus und schlossen sich dem Flüchtlingsstrom auf der Straße an. Jenseits der rot gedeckten Dächer waren noch immer die Boote der Fischer zu erkennen, die auf dem Golf ihrem Tagwerk nachgingen, und weiter draußen die großen Getreideschiffe aus Ägypten, welche den Hafen von Puteoli ansteuerten. Die See, dachte Attilius, wenn er irgendwo ein Boot auftreiben könnte, war es vielleicht möglich, dem Steinhagel zu entkommen und Pompeji von Süden her zu erreichen – übers Wasser. Wahrscheinlich war es sinnlos, sich in Herculaneum einen Weg zum Ufer hinab bahnen zu wollen, aber ihm war die große Villa direkt außerhalb der Stadt eingefallen, das Heim des Senators Pedius Cascus und seiner Philosophenschar; dort gab es vielleicht ein Boot, das er benutzen konnte.
Er ritt auf der überfüllten Straße noch ein Stück weiter, bis er zwei hohe Torpfosten erreichte, die zur Villa Calpurnia gehören mussten. An einem Geländer im Hof band er sein Pferd fest und sah sich nach irgendwelchen Lebenszeichen um, aber der riesige Palast wirkte verlassen. Er ging durch die offene Tür in das große Atrium und dann an der Seite eines ummauerten Gartens entlang. Menschen riefen, auf dem Marmorfußboden wurden Schritte laut, dann bog ein Sklave um eine Ecke, der eine hoch mit Papyrusrollen beladene Schubkarre schob. Er ignorierte Attilius' Ruf und strebte durch eine breite Pforte in das helle Nachmittagslicht hinaus; gleichzeitig eilte ein weiterer Sklave, gleichfalls mit einer Schubkarre – die jedoch leer war –, durch den Eingang ins Haus.
Attilius trat ihm in den Weg.
»Wo ist der Senator?«
»Er ist in Rom.« Der Sklave war jung, furchtsam, verschwitzt.
»Und deine Herrin?«
»Am Schwimmbecken. Bitte – lass mich durch.«
Attilius trat beiseite, um ihm Platz zu machen, und stürmte in die Sonne hinaus. Neben der Terrasse lag das riesige Schwimmbecken, das er auf seiner Fahrt nach Pompeji von der Liburne aus gesehen hatte, und unzählige Menschen wuselten darum herum: Dutzende von Sklaven und weiß gewandeten Philosophen, die alle die Arme voller Papyri hatten und sie in Kästen am
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