Pompeji
zur Villa des Befehlshabers in Angriff zu nehmen, als er vor sich eine Abteilung Seesoldaten sah, die Plinius' Kutsche einen Weg bahnten. Er hatte gerade noch Zeit, abzusteigen und sich dem Geleit in den Weg zu stellen, bevor es ihn erreicht hatte.
»Befehlshaber!«
Plinius, der geradeaus gestarrt hatte, drehte sich unsicher in seine Richtung. Er sah eine Gestalt, die er nicht erkannte, mit Staub bedeckt und in einer zerrissenen Tunika; auf Gesicht, Armen und Beinen des Mannes waren Streifen getrockneten Blutes. Die Erscheinung sprach abermals.
»Befehlshaber! Ich bin's, Marcus Attilius!«
»Der Wasserbaumeister?« Plinius ließ die Kutsche anhalten. »Was ist mit dir passiert?«
»Es ist eine Katastrophe, Befehlshaber. Der Berg explodiert, und es regnet Felsbrocken.« Attilius leckte über seine aufgesprungenen Lippen. »Hunderte von Menschen sind auf der Küstenstraße auf der Flucht nach Osten. Oplontum und Pompeji werden verschüttet. Ich komme aus Herculaneum. Ich habe eine Botschaft für dich …« – er wühlte in seiner Tasche – »von der Gemahlin des Pedius Cascus.«
»Rectina?« Plinius nahm den Brief entgegen und brach das Siegel auf. Er las ihn zweimal, seine Miene verfinsterte sich, und plötzlich wirkte er krank. Er lehnte sich in der Kutsche zur Seite und zeigte Attilius den hastig hingeworfenen Text: Plinius, teuerster Freund, die Bibliothek ist in Gefahr. Ich bin allein. Ich flehe dich an, wenn du diese alten Bücher und deine getreue alte Rectina immer noch liebst, dann komm über die See – und zwar so rasch wie möglich. »Ist das wirklich wahr?«, fragte Plinius. »Der Villa Calpurnia droht Gefahr?«
»Der ganzen Küste droht Gefahr, Befehlshaber.« Was war mit dem alten Mann los? Hatten Wein und Alter seinen Verstand benebelt? Oder dachte er, das alles wäre nur ein Schauspiel – eine eigens für ihn gegebene Vorstellung im Amphitheater? »Die Gefahr folgt dem Wind, und der dreht sich wie eine Wetterfahne. Vielleicht ist nicht einmal Misenum sicher.«
»Vielleicht ist nicht einmal Misenum sicher«, wiederholte Plinius. »Und Rectina ist allein.« Seine Augen wurden feucht. Er rollte den Brief zusammen und winkte seinen Sekretär herbei, der mit den Seesoldaten neben der Kutsche hergelaufen war. »Wo ist Antius?«
»Am Kai, Herr.«
»Wir müssen uns beeilen. Steig zu mir ein, Attilius.« Er klopfte mit seinem Ring an die Seitenwand der Kutsche. »Vorwärts!« Attilius zwängte sich neben ihn, und die Kutsche rollte die Anhöhe hinunter. »Und nun berichte mir alles, was du gesehen hast.«
Attilius versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen, aber es fiel ihm schwer, zusammenhängend zu sprechen. Dennoch versuchte er, die Wucht dessen zu beschreiben, was er erlebt hatte, als der Gipfel des Berges in die Luft flog. Und die Explosion des Gipfels, sagte er, war nur der Schlusspunkt einer ganzen Reihe anderer Phänomene – dem Schwefel in der Erde, den Becken voller giftiger Gase, den Erdbeben, der Aufwölbung des Bodens, die den Aquädukt beschädigt hatte, dem Verschwinden von Quellen in der Umgebung. All diese Dinge standen miteinander im Zusammenhang.
»Und keiner von uns hat es erkannt«, sagte Plinius kopfschüttelnd. »Wir waren so blind wie der alte Pomponianus, der es für das Werk Jupiters hielt.«
»Das stimmt nicht ganz, Befehlshaber. Ein Mann hat es erkannt – ein Mann, der aus der Gegend um den Ätna stammt: mein Vorgänger Exomnius.«
»Exomnius?«, sagte Plinius scharf. »Der eine Viertelmillion Sesterzen auf dem Grund seines eigenen Reservoirs versteckt hat?« Er bemerkte die Verblüffung auf dem Gesicht des Wasserbaumeisters. »Sie wurden heute früh entdeckt, nachdem der Rest des Wassers abgeflossen war. Warum? Weißt du, wie er dazu gekommen ist?«
Sie erreichten die Kaianlagen. Attilius bot sich ein vertrauter Anblick – die Minerva lag mit aufgerichtetem Hauptmast auslaufbereit im Wasser –, und er dachte, wie seltsam die Kette von Ereignissen und Umständen war, die ihn zu dieser Zeit an diesen Ort gebracht hatte. Wenn Exomnius kein Sizilier gewesen wäre, wäre er nie auf den Vesuv hinaufgestiegen und dort verschwunden, Attilius wäre nie von Rom ausgeschickt worden, wäre nie nach Pompeji gekommen, hätte weder Corelia noch Ampliatus noch Corax kennen gelernt. Einen kurzen Moment lang wurde ihm die außerordentliche Logik von alledem bewusst, von vergifteten Fischen bis zu verstecktem Silber, und er versuchte sich zu überlegen, wie er das dem
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