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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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machen. Das waren viertausend Mann – eine Legion!
    Als die Minerva auf Ostkurs gegangen war, wurden die beiden Reihen Ruder ins Wasser getaucht, die Trommel unter Deck begann zu schlagen, und das Schiff nahm Fahrt auf. Plinius hörte, wie der Wind seine persönliche Standarte mit dem Kaiseradler am Achtersteven hinter ihm knattern ließ. Der Wind wehte ihm ins Gesicht. Er spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Die ganze Stadt war erschienen, um ihnen nachzuschauen. Er sah, wie sie die Straßen säumten, sich aus Fenstern lehnten, auf den Dächern standen. Schwacher Applaus drang über den Hafen. Er suchte die Anhöhe nach seiner eigenen Villa ab, sah Gaius und Julia auf der Terrasse und hob die Hand. Ein weiterer Applaus begleitete die Geste.
    »Siehst du, wie unberechenbar die Menge ist?«, rief er Attilius zu. »Gestern Abend hat man mich auf der Straße angespuckt. Heute bin ich ein Held. Alles, wofür sie leben, ist ein Spektakel.« Er winkte abermals.
    »Ja – und warte ab, wie sie morgen reagieren werden«, murmelte Torquatus. »Wenn sie erfahren, dass die Hälfte ihrer Männer tot ist.«
    Attilius war bestürzt. Er sagte leise: »Glaubst du, dass die Gefahr so groß ist?«
    »Diese Schiffe wirken kraftvoll, Aquarius, aber sie werden von Tauen zusammengehalten. Ich kämpfe gern gegen jeden sterblichen Feind. Aber nur Narren lassen sich auf einen Kampf mit der Natur ein.«
    Der Lotse am Bug stieß einen Warnruf aus, und der hinter dem Befehlshaber stehende Rudergänger warf das Ruder herum. Die Minerva suchte sich ihren Weg zwischen den vor Anker liegenden Kampfschiffen hindurch und kam ihnen dabei so nahe, dass Attilius die Gesichter der Männer auf den Decks sehen konnte, dann machte sie noch einen Schwenk und passierte die natürliche Felswand des Hafens, der sich so langsam zu öffnen schien wie die Rolltür eines großen Tempels. Jetzt hatten sie zum ersten Mal freien Blick auf das, was jenseits des Golfs vor sich ging.
    Plinius umklammerte die Armlehnen seines Stuhls, zu überwältigt, um etwas zu sagen. Doch dann erinnerte er sich an seine Pflicht gegenüber der Wissenschaft. »›Jenseits von Pausilypon‹«, diktierte er zögernd, »›sind der gesamte Vesuv und die ihn umgebende Küste vollständig von einer driftenden Wolke verhüllt, weißlich grau und von schwarzen Streifen durchzogen!‹« Aber das war zu nichtssagend, dachte er; er musste einen Eindruck von Ehrfurcht erwecken. »›Darüber hinausragend, sich wölbend und entrollend, als würden die heißen Eingeweide der Erde herausgezerrt und himmelwärts gezogen, erhebt sich die zentrale Säule der Manifestation‹« Das war besser. »›Sie wächst‹«, fuhr er fort, »›als würde sie von einer ununterbrochenen Explosion angetrieben. Aber in ihrem oberen Teil wird das Gewicht der ausgestoßenen Materie zu groß; sie sinkt ab und dehnt sich seitwärts aus.‹ Ist das auch deine Meinung, Aquarius?«, rief er. »Ist es das Gewicht, dass die Verbreiterung bewirkt?«
    »Das Gewicht, Befehlshaber«, rief er zurück. »Oder der Wind.«
    »Ja, das leuchtet ein. Füg das hinzu, Alexion. ›In größerer Höhe scheint der Wind stärker zu sein, und er treibt die Manifestation nach Südosten.‹« Er wandte sich an Torquatus. »Wir sollten uns diesen Wind zunutze machen! Lass das Segel setzen!«
    »Wahnsinn«, sagte Torquatus leise zu Attilius. »Welcher Kapitän segelt in einen Sturm hinein?« Aber er rief seinen Offizieren zu: »Setzt das Großsegel!«
    Die Querstange, an der das Segel befestigt war, wurde aus ihrer Halterung in der Mitte des Rumpfes herausgehoben, und Attilius musste sich ans Heck zurückziehen, als die Seeleute beiderseits der Stange die Taue ergriffen und sie am Mast emporzogen. Das Segel war nach wie vor gerefft, und als es seine Position unter dem Carchesium, dem »Trinkgeschirr«, wie der Ausguck genannt wurde, erreicht hatte, kletterte ein nicht mehr als zehn Jahre alter Junge am Mast hinauf, um es zu lösen. Er rutschte auf der Rahnock entlang und knotete die Befestigungen auf, und als die letzte gelöst war, rauschte das schwere Segel herunter, füllte sich auf der Stelle und straffte sich unter der Gewalt des Windes. Die Minerva knarrte und wurde schneller, jagte durch die Wellen, warf zu beiden Seiten ihres spitzen Bugs weiße Gischt auf, einem Meißel vergleichbar, der in weiches Holz einschneidet.
    Plinius war zumute, als füllte sich sein Wesen mit dem Segel. Er zeigte nach links. »Dort ist unser Ziel,

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