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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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kamen, wurde zwei oder drei Fuß dick – eine weite Fläche rasselnder, trockener Brandung. Die Ruder glitten hilflos darüber hinweg, ohne irgendeinen Druck ausüben zu können, und das Schiff begann, mit dem Wind auf das herabregnende Gestein zuzudriften. Die Villa Calpurnia war quälend nahe. Attilius erkannte die Stelle, an der er mit Rectina gestanden hatte. Er konnte Gestalten an der Küste entlangrennen sehen, die Bücherstapel, die flatternden weißen Gewänder der epikureischen Philosophen.
    Plinius hatte aufgehört zu diktieren, und mit Attilius' Hilfe stemmte er sich auf die Füße. Rings um sie herum knarrte das Holz, weil der Bimsstein gegen den Rumpf drückte. Attilius spürte, wie Plinius ein wenig zusammensackte, als würde ihm jetzt zum ersten Mal bewusst, dass sie geschlagen waren. Er streckte die Hand in Richtung Küste aus. »Rectina«, murmelte er.
    Der Rest der Flotte begann sich zu zerstreuen, die V-Formation löste sich auf, weil jedes Schiff versuchte, sich zu retten. Und dann war es wieder düster, und das vertraute Prasseln des Bimssteins löschte alle anderen Geräusche aus. Torquatus schrie: »Wir haben die Kontrolle über das Schiff verloren! Alles unter Deck! Aquarius – hilf mir, ihn hinunterzuschaffen.«
    »Meine Aufzeichnungen«, protestierte Plinius.
    »Alexion hat deine Aufzeichnungen, Befehlshaber.« Attilius ergriff einen Arm und Torquatus den anderen. Plinius war ungeheuer schwer. Auf der letzten Stufe stolperte er und wäre beinahe kopfüber hinuntergestürzt, aber es gelang ihnen, ihn zu halten und über das Deck zu der offenen Luke zu zerren, die in den Bereich der Ruderer hinabführte. Die Luft verwandelte sich in Gestein. »Platz für den Befehlshaber!«, keuchte Torquatus, und dann warfen sie ihn beinahe die Leiter hinunter. Alexion folgte ihm mit den kostbaren Papieren, Plinius fast auf die Schultern tretend, dann sprang Attilius in einem Bimsstein-Schauer hinunter und als Letzter Torquatus, der die Luke hinter ihnen zuschlug.

 
    Vespera
    [20.02 Uhr]
     
    »Während der ersten Phase hatte der Schlot einen Durchmesser von vermutlich 100 Metern. Im weiteren Verlauf der Eruption ermöglichte die unvermeidliche Verbreiterung des Schlotes den Ausstoß von immer größeren Massen. Am Abend des 24. war die Höhe der Säule gewachsen. Zunehmend tiefere Schichten der Magmakammer wurden angezapft, bis nach ungefähr sieben Stunden der stärker mafische Bimsstein erreicht war. Davon wurden etwa 1,5 Millionen Tonnen pro Sekunde herausgeschleudert und von Konvektionsströmen bis in eine Maximalhöhe von schätzungsweise 33 Kilometern befördert.«
     
    Volcanoes: A Planetary Perspective
     
    Sie duckten sich in der stickigen Hitze und der fast völligen Dunkelheit unter dem Deck der Minerva und lauschten dem Trommeln der Steine über ihren Köpfen. Die Luft stank nach Schweiß und dem Atem von zweihundert Seesoldaten. Gelegentlich jammerte jemand in einer unverständlichen Sprache, wurde aber mit einem groben Befehl von einem der Offiziere rasch zum Schweigen gebracht. Ein Mann neben Attilius erklärte mehrfach auf Lateinisch, dies sei das Ende der Welt – und so kam es dem Wasserbaumeister auch vor. Die Natur hatte sich umgekehrt, sodass sie mitten auf der See in Gestein ertranken und am helllichten Tage in tiefer Dunkelheit dahintrieben. Das Schiff schaukelte heftig, aber keiner der Riemen bewegte sich. Jede Aktivität war sinnlos, denn sie hatten keine Ahnung, in welche Richtung sie getrieben wurden. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als es zu ertragen, und jeder Mann war in seine eigenen Gedanken versunken.
    Attilius vermochte nicht zu sagen, wie lange das dauerte. Vielleicht eine Stunde, vielleicht auch zwei. Er wusste nicht einmal, wo er sich befand. Er wusste nur, dass er sich an einem schmalen Balken festhielt, der durch das gesamte Schiff zu verlaufen schien und an den sich rechts und links die beiden engen Ruderbänke anschlossen. Irgendwo in der Nähe konnte er hören, wie Plinius schnaufte und Alexion wie ein Kind schnüffelte. Von Torquatus kam kein Laut. Das unaufhörliche Hämmern des herabstürzenden Bimssteins, anfangs scharf, solange er auf die Planken des Decks aufschlug, wurde immer dumpfer, weil Bimsstein auf Bimsstein traf und sie von der Welt abschnitt. Und das war für ihn das Schlimmste – das Gefühl, dass sich diese Masse über ihnen ansammelte und sie lebendig begrub. Während die Zeit verging, begann er sich zu fragen, wie lange die Decksplanken

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