Pompeji
fliegender Gänse verließen. Aber dann wurde er sich bewusst, dass der Himmel sich verdunkelte. Zu ihrer Rechten prasselte ein Steinhagel auf die See und kam rasch näher. Die Rammsporne und die Segel der Quadriremen verschwammen, und als sich die Luft mit wirbelndem Gestein füllte, lösten sie sich in Geisterschiffe auf.
In dem Inferno war Torquatus überall und brüllte Befehle. Männer rannten in der Düsternis auf dem Deck herum. Die Taue, die die Rahnock hielten, wurden gelöst und das Segel gesenkt. Der Rudergänger schwenkte hart nach Steuerbord. Eine Sekunde später kam ein Feuerball vom Himmel, berührte die Spitze des Mastes, glitt an ihm herunter und dann an der Rahnock entlang. Attilius sah Plinius mit eingezogenem Kopf und in den Nacken gedrückten Händen, und sein Sekretär beugte sich vor, um seine Papiere zu schützen. Der Feuerball schoss von der Rahnock herunter und stürzte, gefolgt von Schwefeldünsten, in die See. Er erlosch mit einem gewaltigen Zischen und mit ihm sein Licht. Hätte sich das Segel noch am Mast befunden, wäre es in Flammen aufgegangen. Attilius spürte das Trommeln der Steine auf seinen Schultern und hörte sie auf das Deck fallen. Die Minerva musste sich am Rand der Wolke befinden, und Torquatus versuchte, sie aus ihr herausrudern zu lassen; plötzlich gelang es ihm. Es gab eine letzte Ladung Geschosse, dann waren sie ins Sonnenlicht zurückgekehrt.
Er hörte Plinius husten, und als er die Augen öffnete, sah er, dass der Befehlshaber aufgestanden war und das Geröll aus den Falten seiner Toga schüttelte. Er hatte eine Hand voll Steine ergriffen, und als er wieder auf seinen Stuhl gesunken war, betrachtete er sie auf seiner Handfläche. Überall auf dem Schiff schüttelten Männer ihre Kleidung aus und untersuchten ihre Gliedmaßen auf Schnittwunden. Noch immer steuerte die Minerva auf Herculaneum zu, das jetzt kaum noch eine Meile entfernt und deutlich zu sehen war, aber der Wind nahm an Stärke zu und die Wellen wurden höher. Der Rudergänger hatte Mühe, sie auf Kurs zu halten, weil die Wellen gegen die Backbordseite des Schiffes brandeten.
»›Begegnung mit der Manifestation‹«, sagte Plinius gelassen. Er wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab und hustete abermals. »Hast du das? Wie spät ist es?«
Alexion kippte die Steine von seinen Papieren und blies den Staub herunter. Dann beugte er sich zu der Uhr. »Der Mechanismus ist zerbrochen, Herr.« Seine Stimme zitterte. Er war den Tränen nahe.
»Macht nichts. Sagen wir, die elfte Stunde.« Plinius hielt einen der Steine hoch und betrachtete ihn aus der Nähe. »›Das Material ist schaumiger, blasenreicher Bimsstein. Weißlich grau. Er ist leicht wie Asche und zerfällt in Bruchstücke, die nicht größer sind als mein Daumen.‹« Er hielt einen Moment inne, dann sagte er sanft: »Nimm deine Feder, Alexion. Wenn ich eines nicht ausstehen kann, dann ist es Feigheit.«
Die Hand des Sekretärs zitterte. Wegen des Stampfens und Schlingerns des Schiffes konnte er kaum schreiben. Seine Feder glitt in einem unleserlichen Gekritzel über die Oberfläche des Papyrus. Plinius' Stuhl rutschte über das Deck, und Attilius suchte ihn schnell zu packen. Er sagte: »Du solltest unter Deck gehen.« Im selben Moment stolperte Torquatus barhäuptig auf Plinius zu.
»Nimm meinen Helm, Befehlshaber.«
»Danke, Kommandant, aber mein alter Schädel bietet genügend Schutz.«
»Befehlshaber – ich flehe dich an – dieser Wind trägt uns direkt in den Sturm – wir müssen umkehren!«
Plinius ignorierte ihn. »›Der Bimsstein gleicht weniger Gestein als vielmehr Brocken einer gefrorenen Wolke.‹« Er reckte den Hals, um über die Seite des Schiffes blicken zu können. »Es schwimmt auf der Wasseroberfläche wie Eisschollen. Siehst du das? Höchst merkwürdig.«
Attilius war es noch nicht aufgefallen. Das Wasser war mit einem Steinteppich bedeckt. Die Ruder fegten ihn mit jedem Schlag beiseite, aber sofort wurde weiteres Gestein herangeschwemmt und trat an seine Stelle. Torquatus lief zur Reling. Sie waren eingeschlossen.
Eine Welle aus Bimsstein brach über die Vorderkante des Decks herein.
»Befehlshaber …«
»Das Glück ist mit den Tapferen, Torquatus. Lass auf die Küste zusteuern!«
Eine kurze Weile kamen sie noch voran, aber das Tempo der Ruderschläge wurde schwächer, besiegt nicht vom Wind oder den Wellen, sondern vom hemmenden Gewicht des Bimssteins auf dem Wasser. Er nahm zu, je näher sie der Küste
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