Pompeji
die in Leopardenfell gekleidet waren. Aber woran er sich vor allem erinnerte, war nicht die Jagd, sondern das Bild, wie der Wärter des Elefanten, der das gewaltige Tier vermutlich auf seiner Reise von Afrika her begleitet hatte, neben seinem Ohr niederkniete, als es sterbend im Staub lag, und ihm etwas zuflüsterte. Genau so war ihm jetzt zumute. Der Aquädukt, die gewaltige Aqua Augusta, schien ihm unter den Händen wegzusterben.
Eine Stimme sagte: »Du bist auf meinem Besitz.«
Er schaute auf und sah Ampliatus, der auf ihn herabstarrte. Der Besitzer der Villa war Mitte fünfzig, recht klein, aber breitschultrig und kraftvoll. »Auf meinem Besitz«, wiederholte Ampliatus.
»Dein Besitz, ja. Aber das Wasser des Kaisers.« Attilius erhob sich und trocknete sich die Hände an seiner Tunika ab. Dass so viel von der kostbaren Flüssigkeit vergeudet wurde, nur um die Fische eines reichen Mannes aufzupäppeln, noch dazu in einer Dürreperiode, machte ihn wütend. »Du musst die Schleusen des Aquädukts schließen. In der Hauptleitung ist Schwefel, und Meerbarben vertragen keine Verunreinigungen. Daran« – er betonte das Wort – »sind deine kostbaren Fische gestorben.«
Ampliatus bog den Kopf ein wenig zurück und rümpfte angesichts dieser Beleidigung die Nase. Er besaß ein gut geschnittenes, recht hübsches Gesicht. Seine Augen hatten den gleichen Blauton wie die seiner Tochter. »Und wer bist du?«
»Marcus Attilius. Aquarius der Aqua Augusta.«
»Attilius?« Der Millionär runzelte die Stirn. »Was ist mit Exomnius passiert?«
»Ich wollte, ich wüsste es.«
»Aber ist Exomnius nicht mehr der Aquarius?«
»Nein. Wie ich bereits sagte, bin ich jetzt der Aquarius.« Attilius war nicht in der Stimmung, dem Mann irgendwelchen Respekt zu erweisen. Verächtlich, dumm, grausam – bei einer anderen Gelegenheit würde er ihm vielleicht seine Meinung sagen, aber jetzt hatte er keine Zeit dafür. »Ich muss zurück nach Misenum. Wir haben einen Notfall am Aquädukt.«
»Was für einen Notfall? Ist es ein Omen?«
»So könnte man es nennen.«
Er wollte gehen, aber Ampliatus trat rasch neben ihn und versperrte ihm den Weg. »Du beleidigst mich«, sagte er. »Auf meinem Besitz. Vor meiner Familie. Und jetzt willst du gehen, ohne dich zu entschuldigen?« Er hielt sein Gesicht so nahe an das von Attilius, dass dieser die Schweißperlen an seinem schütteren Haaransatz sehen konnte. Ampliatus roch süß nach Krokusöl, dem teuersten aller Parfüme. »Wer hat dir erlaubt, hierher zu kommen?«
»Wenn ich dich irgendwie beleidigt habe …«, begann Attilius. Aber dann erinnerte er sich an das jämmerliche Bündel unter dem Sack, und die Entschuldigung blieb ihm im Halse stecken. »Geh mir aus dem Weg.«
Er versuchte, an Ampliatus vorbeizukommen, doch der packte ihn am Arm, und jemand zog ein Messer. Eine weitere Sekunde, erkannte Attilius – ein einziger Stoß –, und alles wäre vorbei.
»Er ist meinetwegen gekommen, Vater. Ich habe ihn geholt.«
»Was?«
Ampliatus fuhr zu Corelia herum. Was er getan hätte, ob er sie geschlagen hätte, würde Attilius nie erfahren, denn in diesem Augenblick erhob sich ein fürchterliches Geschrei. Auf der Rampe kam die grauhaarige Frau auf sie zu. Sie hatte ihr Gesicht, ihre Arme, ihr Gewand mit dem Blut ihres Sohnes beschmiert. Ihre Hand zeigte starr nach vorn, und der erste und der letzte ihrer knochigen braunen Finger waren steif ausgestreckt. Sie schrie etwas in einer Sprache, die Attilius nicht verstand. Aber das brauchte er auch nicht: Ein Fluch ist in jeder Sprache ein Fluch, und dieser war gegen ihren Herrn gerichtet.
Ampliatus ließ den Arm des Wasserbaumeisters los, drehte sich zu ihr um und musterte sie mit gleichgültiger Miene. Und dann, als ihr Wortstrom langsam versiegte, lachte er. Einen Moment lang herrschte Stille, dann begannen auch die anderen zu lachen. Attilius warf einen Blick auf Corelia, die kaum merklich nickte und mit den Augen auf die Villa deutete – mir wird nichts geschehen, schien ihre Geste zu besagen, geh –, und das war das Letzte, was er sah oder hörte, als er der Szene den Rücken kehrte und begann, den Pfad zum Haus hinaufzueilen – zwei, drei Stufen auf einmal nehmend, auf Beinen aus Blei, wie ein Mann, der in einem Traum auf der Flucht ist.
Hora duodecima
[18.48 Uhr]
» Unmittelbar vor einem Ausbruch können sich die Verhältnisse von S/G, SO2/CO2 und S/Cl stark verändern; außerdem kann es zu einem Anstieg der
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