Pompeji
des ihn umgebenden Wasser abgekühlt wurde – was geschah dann? Verteilte er sich? Schwamm er an der Oberfläche? Oder sank er ab?
Attilius richtete den Blick auf das nördliche Ende des Reservoirs, wo die Augusta zum Vorschein kam. »Wir sollten den Druck überprüfen.«
Corax ruderte mit kräftigen Schlägen und steuerte das Boot geschickt zwischen dem Pfeilerlabyrinth hindurch auf das fallende Wasser zu. Attilius hielt die Fackel in einer Hand; mit der anderen entfaltete er die Pläne und breitete sie mit dem Unterarm auf seinen Knien aus.
Das ganze westliche Ende des Golfs, von Neapolis bis Cumae, war schwefelhaltig – so viel wusste er. Aus den Schächten in den Leucogaei-Bergen, zwei Meilen nördlich des Hauptstrangs der Augusta, wurden grüne, durchscheinende Schwefelklumpen gefördert. Dann gab es da die heißen Schwefelquellen in der Umgebung von Baiae, die von Genesenden aus dem ganzen Imperium aufgesucht wurden. Es gab den Posidian, einen nach einem Freigelassenen des Claudius benannten Teich, dessen Wasser so heiß war, dass man Fleisch dann garen konnte. Sogar das Meer bei Baiae stieß zuweilen Schwefeldämpfe aus, und die Kranken badeten in der Hoffnung auf Heilung im seichten Wasser in Strandnähe. Irgendwo in dieser schwelenden Gegend – in der die Sibylle ihre Höhle hatte und die brennenden Löcher Zugänge zur Unterwelt waren – musste der Schwefel in die Augusta eingedrungen sein.
Sie hatten den Tunnel des Aquädukts erreicht. Corax ließ das Boot einen Moment gleiten, dann ruderte er ein paar kräftige Schläge in die entgegengesetzte Richtung und brachte es direkt neben einem Pfeiler zum Stehen. Attilius schob seine Pläne beiseite und hob die Fackel. Ihr Licht fiel auf einen smaragdgrünen Schimmelbelag, dann erhellte es den gewaltigen, in Stein gehauenen Neptunskopf, aus dessen Mund die Augusta normalerweise in einem kohlschwarzen Sturzbach herausschoss. Doch sogar in der Zeit, die sie gebraucht hatten, um von der Treppe hierher zu rudern, war die Wassermenge geschrumpft. Jetzt war sie kaum mehr als ein Rinnsal.
Corax stieß einen leisen Pfiff aus. »Ich hätte nie gedacht, dass ich die Augusta einmal trocken sehen würde. Du hattest Recht, dir Sorgen zu machen, hübscher Knabe.« Er sah Attilius an, und zum ersten Mal flackerte Angst in seinen Augen. »Unter welchem Stern bist du geboren, dass du das über uns gebracht hast?«
Der Wasserbaumeister konnte kaum atmen. Er hielt sich wieder die Nase zu und bewegte die Fackel über die Oberfläche des Reservoirs. Der Widerschein des Lichtes auf dem stillen schwarzen Wasser ließ an ein Feuer denken, das in der Tiefe brannte.
Es ist unmöglich, dachte er. Aquädukte versiegten nicht einfach – nicht auf diese Weise, im Verlauf von ein paar Stunden. Die Leitungen bestanden aus mit wasserdichtem Zement verputzten Ziegelsteinen, ummantelt mit einer anderthalb Fuß dicken Betonschicht. Die üblichen Probleme – Bruchstellen, Lecks, Ablagerungen von Kalk, die die Leitungen verengten –, all das brauchte Monate oder sogar Jahre, um Wirkung zu zeigen. Bei der Claudia hatte es ein volles Jahrzehnt gedauert, bis sie versiegte.
Ein Ruf des Sklaven Polites ließ ihn hochschrecken. »Aquarius!«
Er wendete den Kopf. Wegen der Pfeiler, die wie versteinerte Eichen aus einem übel riechenden Sumpf aufzuragen schienen, konnte er die Treppe nicht sehen. »Was ist?«
»Ein Reiter ist gekommen, Aquarius! Er bringt die Botschaft, dass der Aquädukt versiegt ist.«
Corax murmelte: »Das sehen wir selbst, du griechischer Dummkopf.«
Attilius griff wieder nach den Plänen. »Aus welcher Stadt kommt er?« Er erwartete, dass der Sklave Baiae oder Cumae antworten würde. Schlimmstenfalls Puteoli. Neapolis wäre eine Katastrophe.
Aber die Antwort war wie ein Schlag in den Magen. »Nola!«
Der Bote war so staubverkrustet, dass er eher einem Gespenst als einem Menschen glich. Und noch während er seine Geschichte erzählte – wie das Wasser im Reservoir von Nola bei Tagesanbruch versiegt war und dem Versiegen ein starker Schwefelgeruch voranging, der mitten in der Nacht aufgetreten war –, hörten sie neue Hufschläge auf der Straße, und eine Sekunde später trabte ein zweites Pferd auf den Platz.
Der Reiter stieg rasch ab und übergab Attilius eine Papyrusrolle. Eine Botschaft von den Stadtvätern von Neapolis. Dort war die Augusta am Mittag versiegt.
Attilius las sie sorgfältig und bemühte sich dabei um eine ausdruckslose Miene. Jetzt
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