Pompeji
und das Zimmer in einem derartigen Chaos hinterlassen. Auf einem kleinen dreibeinigen Tisch lag ein Klumpen aus weißlich grünem Marmor, der sich bei näherem Hinsehen in einen halb gegessenen Laib Brot verwandelte. Daneben lagen ein Messer und ein verfaulter Apfel. In dem Staub zeichneten sich frische Fingerabdrücke ab. Attilius berührte die Tischplatte und betrachtete dann seine geschwärzte Fingerkuppe. Das ist erst vor kurzem passiert, dachte er. Der Staub hatte noch keine Zeit gehabt, sich wieder zu legen. Erklärte das vielleicht, weshalb Ampliatus so versessen darauf gewesen war, ihm sämtliche Details seiner neuen Bäder zu zeigen – um dafür zu sorgen, dass Attilius beschäftigt war, während das Zimmer durchsucht wurde? Was für ein Narr war er doch gewesen, über Tiefland-Pinien und angesengtes Olivenholz zu reden! Er sagte: »Wie lange hat Exomnius in diesem Zimmer gewohnt?«
»Drei Jahre. Vielleicht auch vier.«
»Aber er war nicht ständig hier?«
»Er kam und ging.«
Attilius wurde klar, dass er nicht einmal wusste, wie Exomnius aussah. Er war auf der Spur eines Phantoms. »Er hatte keinen Sklaven?«
»Nein.«
»Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?«
»Exomnius?« Africanus breitete die Hände aus. Wie sollte er sich daran erinnern? So viele Kunden. So viele Gesichter.
»Wann hat er seine Miete bezahlt?«
»Im Voraus. An den Kalenden jedes Monats.«
»Also hast du Anfang August dein Geld bekommen?« Africanus nickte. Damit war eines klar. Was immer mit ihm passiert sein mochte – Exomnius hatte nicht vorgehabt, zu verschwinden. Der Mann war offensichtlich ein Geizhals. Er hätte nie für ein Zimmer bezahlt, das er nicht zu benutzen gedachte. »Lass mich allein«, sagte Attilius. »Ich mache hier Ordnung.«
Africanus schien protestieren zu wollen, aber als Attilius einen Schritt auf ihn zuging, hob er kapitulierend die Hände und zog sich auf den Treppenabsatz zurück. Attilius machte ihm die aufgebrochene Tür vor der Nase zu und hörte ihn dann zur Schenke hinuntergehen.
Er wanderte im Zimmer umher und stellte die Möbel wieder auf, um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie es vorher ausgesehen hatte; vielleicht ergab sich dabei irgendein Hinweis auf die Dinge, die es sonst noch enthalten hatte. Er schob die aufgeschlitzte Matratze wieder auf das Bett und platzierte das – gleichfalls aufgeschlitzte – Kissen ans Kopfende. Er faltete die dünne Decke zusammen. Er legte sich hin. Als er den Kopf drehte, sah er ein Muster aus kleinen schwarzen Flecken an der Wand und entdeckte, dass es zerquetschte Insekten waren. Er stellte sich vor, wie Exomnius in der Hitze hier lag und Wanzen totschlug, und fragte sich, warum dieser Mann, wenn er denn Bestechungsgelder von Ampliatus kassierte, sich dazu entschlossen hatte, in derart ärmlichen Verhältnisse zu leben. Hatte er vielleicht sein ganzes Geld für Huren ausgegeben? Aber das schien unmöglich. Ein Stündchen mit einer von Africanus' Frauen konnte nicht mehr als ein paar Kupfermünzen kosten.
Ein Dielenbrett knarrte.
Er setzte sich sehr langsam auf und richtete den Blick auf die Tür. Unter dem dünnen Holz zeichneten sich deutlich die sich bewegenden Schatten von einem Paar Füße ab, und einen Augenblick war er sicher, dass es Exomnius war, gekommen, um eine Erklärung von diesem Fremden zu verlangen, der sein Amt übernommen hatte und jetzt in seinem verwüsteten Zimmer auf dem Bett lag. »Wer ist da?«, rief er, und als die Tür langsam geöffnet wurde und er sah, dass es nur Smyrina war, fühlte er sich seltsamerweise enttäuscht. »Ja?«, fragte er. »Was willst du? Ich habe deinem Herrn gesagt, dass ich allein sein will.«
Sie stand auf der Schwelle. Ihr Kleid war geschlitzt, damit man ihre langen Beine sehen konnte. Auf dem Oberschenkel hatte sie einen verblassenden, faustgroßen blauen Fleck.
Sie schaute sich im Zimmer um und schlug dann entsetzt die Hände vor den Mund. »Wer das getan?«
»Sag du es mir.«
»Er gesagt, er sich um mich kümmern.«
»Wie bitte?«
Sie trat in das Zimmer. »Er gesagt, wenn er kommt zurück, er sich um mich kümmern.«
»Wer?«
»Aelianus. Er gesagt.«
Attilius brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, wen sie meinte – Exomnius. Aelianus Exomnius. Sie war der erste Mensch, dem er begegnet war, der den Aquarius beim Vornamen nannte. Das war bezeichnend für ihn. Seine einzige Vertraute – eine Hure. »Ganz offensichtlich«, sagte er grob, »kommt er nicht zurück, um sich um dich
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