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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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der Vorhalle, Herr.«
    »Führe ihn in den alten Garten. Sorge dafür, dass die Küche den Nachtisch serviert, und sage meinen Gästen, dass ich bald wiederkomme.«
    Ampliatus schlug den Weg ein, der hinter dem Speisezimmer vorbei und über die breite Treppe in den großen Hof seines alten Hauses führte. Er hatte es vor zehn Jahren gekauft und sich ganz bewusst direkt neben dem Familiensitz der Popidii niedergelassen. Was für ein Vergnügen war es gewesen, auf gleichem Niveau wie seine früheren Herren zu leben und einfach abzuwarten, bereits damals wissend, dass er eines Tages irgendwie eine Bresche in die dicke Gartenmauer schlagen und auf die andere Seite vordringen würde wie ein rächendes Heer, das eine feindliche Stadt erobert.
    Er ließ sich auf der runden Steinbank in der Mitte des Gartens nieder, im Schatten einer von Rosen überwachsenen Pergola. Hier erledigte er seine privatesten Geschäfte. Hier konnte er immer ungestört reden. Niemand konnte sich nähern, ohne gesehen zu werden. Er öffnete den Kasten erneut, holte sämtliche Papyri heraus und schaute hinauf zum wolkenlosen Himmel. Er hörte Corelias Distelfinken, die in dem Vogelhaus auf dem Dach zwitscherten, und auch das Summen der Stadt, die nach der langen Siesta wieder zum Leben erwachte. Die Schenken und Speisehäuser würden gute Geschäfte machen, weil immer mehr Leute auf die Straßen strömten, um Vulkan ihr Opfer darzubringen.
    Salve lucrum!
    Lucrum gaudium!
    Er schaute nicht auf, als er seinen Besucher herankommen hörte.
    »Es sieht also so aus«, sagte er, »als hätten wir ein Problem.«
     
    Corelia hatte die Finken bekommen, kurz nachdem sie in das Haus eingezogen waren, zu ihrem zehnten Geburtstag. Sie fütterte sie gewissenhaft, pflegte sie, wenn sie krank waren, schaute zu, wie sie schlüpften, sich paarten, gediehen und starben, und jetzt flüchtete sie immer zu ihrem Vogelhaus, wenn sie allein sein wollte. Es nahm ungefähr die Hälfte des kleinen Balkons vor ihrem Zimmer ein, das oberhalb des verschwiegenen Gartens lag. Das Dach des Vogelhauses war zum Schutz gegen die Sonne mit einem Tuch abgedeckt.
    Sie saß bedrückt in einer schattigen Ecke, die Arme um die Beine geschlungen und das Kinn auf den Knien, als sie hörte, wie jemand in den Garten kam. Sie rutschte ein Stückchen nach vorn und lugte über die niedrige Brüstung. Ihr Vater hatte sich auf der runden Steinbank niedergelassen; neben ihm stand ein Kasten, und er las irgendwelche Papiere. Gerade legte er das letzte von ihnen beiseite und schaute zum Himmel auf, wobei er sich in ihre Richtung umwandte. Rasch zog sie den Kopf zurück. Die Leute behaupteten, sie sähe ihm ähnlich. »Oh, sie ist das Ebenbild ihres Vaters!« Und da er ein gut aussehender Mann war, hatte sie das früher stolz gemacht.
    Jetzt hörte sie ihn sagen: »Es sieht also so aus, als hätten wir ein Problem.«
    Als Kind hatte Corelia eine merkwürdige Eigenart des Gartens entdeckt. Die Mauern und die Säulen schienen das Geräusch von Stimmen einzufangen und nach oben zu leiten, sodass sogar geflüsterte Laute, im Garten selbst kaum hörbar, hier oben so deutlich vernehmbar waren wie die Reden vom Rostrum am Wahltag. Natürlich hatte das den Zauber ihres Rückzugswinkels noch gesteigert. Das meiste, was sie als Heranwachsende gehört hatte, besaß für sie keinerlei Bedeutung – Verträge, Grenzziehung, Zinssätze –, der Balkon war einfach ein privates Fenster zur Welt der Erwachsenen gewesen. Nicht einmal ihrem Bruder hatte sie davon erzählt, denn erst in den letzten paar Monaten war es ihr gelungen, die geheimnisvolle Sprache der Angelegenheiten ihres Vaters zu entziffern. Und hier hatte sie auch vor ungefähr einem Monat gehört, wie ihr Vater mit Popidius über ihre Zukunft verhandelte; so viel Nachlass bei der Verkündigung ihrer Verlobung, völliger Schuldenerlass, sobald die Ehe vollzogen war, das Zurückfallen des Besitzes im Falle der Kinderlosigkeit, das Erbrecht etwaiger Kinder bei Erreichen der Volljährigkeit …
    »Meine kleine Venus«, pflegte er sie zu nennen. »Meine tapfere kleine Diana.«
    … eine Prämie, zahlbar in Anbetracht der Jungfräulichkeit, attestiert von dem Arzt Pumponius Magonianus, Zahlung erlassen bei Unterzeichnung des Vertrages innerhalb der festgelegten Frist …
    »Ich sage immer«, hatte ihr Vater geflüstert, »und hier spreche ich von Mann zu Mann, Popidius, und ohne den juristischen Kram: Einen guten Fick kann man nicht mit einem Preisschild

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