Pompeji
sich diese beiden Papyri bei den anderen befanden? Könnten sie von irgendwo anders gekommen sein?«
»Sie waren in demselben Kasten. Was haben sie zu bedeuten?«
»Und du hast den Mann nicht gesehen, der deinem Vater den Kasten brachte?«
Corelia schüttelte den Kopf. »Ich konnte ihn nur hören. Sie haben über dich gesprochen. Und was sie gesagt haben, hat mich veranlasst, dich zu suchen.« Sie rückte ein wenig näher an ihn heran und senkte die Stimme. »Mein Vater hat gesagt, er will nicht, dass du von dieser Expedition lebend zurückkehrst.«
»Tatsächlich?« Attilius bemühte sich um ein Lachen. »Und was hat der andere Mann gesagt?«
»Er hat gesagt, das dürfte kein Problem sein.«
Schweigen. Er spürte, wie ihre Hand die seine berührte – ihre kühlen Finger strichen über seine offenen Schnittwunden und Abschürfungen –, und dann legte sie ihren Kopf auf seine Brust. Einen Augenblick lang gestattete er sich, zum ersten Mal seit drei Jahren, das Gefühl, die Nähe eines Frauenkörpers zu genießen.
So war es also, wenn man lebendig war. Er hatte es vergessen.
Nach einer Weile schlief sie ein. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, zog er seinen Arm zurück. Er verließ sie und kehrte zum Aquädukt zurück.
Die Reparaturarbeiten waren an ihrem entscheidenden Punkt angelangt. Die Sklaven waren mit dem Herausholen von Schutt fertig und hatten angefangen, Ziegelsteine hinunterzuschaffen. Attilius nickte Brebix und Musa, die dastanden und sich unterhielten, argwöhnisch zu. Beide Männer verstummten, als er herankam, und schauten an ihm vorbei auf die Stelle, an der Corelia lag, aber er nahm ihre Neugierde nicht zur Kenntnis.
Sein Denken war in Aufruhr. Dass Exomnius sich hatte bestechen lassen, war keine Überraschung – damit hatte er sich abgefunden. Und er war davon ausgegangen, dass die Unehrlichkeit seines Vorgängers sein Verschwinden erklärte. Aber diese anderen Dokumente, das griechische und dieser Auszug aus einem Brief, warfen ein völlig neues Licht auf das Geheimnis. Jetzt hatte es den Anschein, als hätte sich Exomnius Sorgen gemacht wegen der Erde, durch die die Augusta verlief – die schwefelhaltige, vergiftete Erde –, und das schon mindestens drei Wochen, bevor der Aquädukt in Mitleidenschaft gezogen worden war. Genügend Sorgen, um sich ein Exemplar des ursprünglichen Plans zu beschaffen und in der öffentlichen Bibliothek von Pompeji zu recherchieren.
Attilius starrte, in Gedanken versunken, in die Tiefe der Matrix. Er erinnerte sich an das Gespräch mit Corax in der Piscina mirabilis am gestrigen Nachmittag – »Er kannte dieses Wasser besser als jeder andere. Er hätte das hier kommen sehen« – und an seine eigene, unüberlegte Antwort: »Vielleicht hat er genau das getan und ist deshalb fortgelaufen.« Zum ersten Mal hatte er die Vorahnung von etwas Grauenhaftem. Er konnte sein Gefühl nicht greifbar machen. Aber es passierte zu viel, das ungewöhnlich war – die Beschädigung der Matrix, das Beben der Erde, Quellen, die in den Boden zurückrannen, die Schwefelvergiftung … Auch Exomnius hatte das gespürt.
Im Tunnel leuchtete das Feuer der Fackeln.
»Musa?«
»Ja, Aquarius?«
»Wo stammte Exomnius her?«
»Aus Sizilien, Aquarius.«
»Ja, das weiß ich. Aus welcher Gegend von Sizilien?«
»Ich glaube, aus dem Westen.« Musa runzelte die Stirn. »Aus Caetana. Warum?«
Doch der Wasserbaumeister starrte nur über die mondbeschienene Ebene auf die dunkle Masse des Vesuv und gab keine Antwort.
JUPITER
24. August
Der Tag des Ausbruchs
Hora prima
[06.20 Uhr]
»Irgendwann reagierte heißes Magma mit Grundwasser, das in den Vulkan einsickerte, und löste das erste Ereignis aus, die relativ harmlose Dampferuption, die feinkörnige graue Tephra auf die Ostflanke des Vulkans herabregnen ließ. Das geschah vermutlich in der Nacht zum oder am Morgen des 24. August.«
Volcanoes: A Planetary Perspective
Die ganze stickige Nacht hindurch, während sie bei Fackelschein arbeiteten und die Matrix reparierten, behielt er seine ständig wachsende Besorgnis für sich.
Er half Corvinus und Polites an der Oberfläche beim Anmischen des Zements in Holztrögen. Sie kippten den Ätzkalk hinein, das pulverige Puteolanum und eine winzige Menge Wasser – nicht mehr als einen Becher voll, denn das war das Geheimnis der Herstellung eines guten Zements; je trockener die Mischung, desto härter band sie ab. Dann wies er die Sklaven an, die Masse in
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