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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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entfliehen. Und glaub mir, es gibt Schlimmeres, als einen reichen Mann zu heiraten. Du könntest auf den Feldern arbeiten und mit zwanzig sterben. Oder als Hure in den verschwiegenen Gassen von Pompeji leben müssen. Finde dich ab mit dem, was passieren muss. Lebe damit. Du wirst es ertragen, da bin ich ganz sicher.«
    Sie warf ihm einen langen Blick zu – lag Verachtung darin oder Hass? »Ich schwöre dir, ich wäre lieber eine Hure.«
    »Und ich schwöre, dass das nicht stimmt.« Er sprach jetzt schärfer. »Du bist noch jung. Was weißt du schon davon, wie Menschen leben?«

»Ich weiß, dass ich nicht jemanden heiraten kann, den ich verachte. Könntest du das? Vielleicht könntest du es.«
    Er wandte sich ab. »Lassen wir das, Corelia.«
    »Bist du verheiratet?«
    »Nein.«
    »Aber du warst verheiratet?«
    »Ja«, sagte er leise. »Ich war verheiratet. Meine Frau ist tot.«
    Das ließ sie einen Augenblick verstummen. »Und hast du sie verachtet?«
    »Natürlich nicht.«
    »Hat sie dich verachtet?«
    »Vielleicht hat sie es getan.«
    Wieder schwieg sie einen Moment. »Woran ist sie gestorben?«
    Er sprach nie darüber. Er dachte nicht einmal daran. Und wenn sein Verstand, wie er es manchmal tat, vor allem, wenn er vor Tagesanbruch wach lag, auf diese grauenhafte Straße abbog, dann riss er ihn sofort zurück und lenkte ihn in eine andere Richtung. Aber jetzt – Corelia hatte etwas an sich, das ihm unter die Haut gegangen war. Zu seiner Verblüffung erzählte er es ihr.
    »Sie sah dir sehr ähnlich. Und sie hatte ein hitziges Temperament, genau wie du.« Er lachte kurz auf. »Wir waren drei Jahre verheiratet.« Es war Wahnsinn, aber er konnte nicht aufhören. »Sie sollte ein Kind gebären. Aber es kam mit den Füßen voran aus ihrem Leib. Wie Agrippa. Das ist es, was der Name Agrippa bedeutet – aegre partus – ›mit Schwierigkeit geboren‹. Wusstest du das? Anfangs dachte ich, es sei ein gutes Omen für einen künftigen Aquarius, so geboren zu werden wie der große Agrippa. Ich war sicher, dass es ein Junge war. Aber der Tag zog sich hin – es war Juni in Rom und heiß, fast so heiß wie hier unten –, und selbst mit einem Arzt und zwei Frauen, die sich um sie kümmerten, wollte das Kind nicht herauskommen. Und dann begann sie zu bluten.« Er schloss die Augen. »Gegen Abend kamen sie zu mir. ›Marcus Attilius, wähle zwischen deiner Frau und deinem Kind.‹ Ich sagte, ich wollte beide. Aber sie meinten, das sei unmöglich, und so sagte ich – natürlich sagte ich: ›Meine Frau.‹ Ich ging in das Zimmer, in dem sie lag. Sie war sehr schwach, aber sie widersprach. Stritt mit mir, selbst da noch! Sie hatten eine Schere – von der Art, wie Gärtner sie benutzen. Und ein Messer. Und einen Haken. Sie schnitten zuerst den einen Fuß ab und dann den anderen, und sie benutzten das Messer, um den Körper zu vierteilen, und den Haken, um den Kopf herauszuziehen. Aber Sabinas Blutung hörte nicht auf, und am nächsten Morgen starb auch sie. Also weiß ich es nicht. Vielleicht hat sie mich am Ende verachtet.«
     
    Er schickte Corelia mit Polites nach Pompeji zurück. Nicht, weil der griechische Sklave der kräftigste Begleiter oder der beste Reiter war, aber er war der Einzige, dem Attilius vertraute. Er gab ihm Corvinus' Pferd und befahl ihm, sie nicht aus den Augen zu lassen, bis sie sicher wieder zu Hause angelangt war.
    Am Ende fügte sie sich, fast ohne ein weiteres Wort, und er schämte sich dessen, was er gesagt hatte. Er hatte sie zum Schweigen gebracht, aber auf eine feige Art – unmännlich und voller Selbstmitleid. Hatte sich ein salbungsvoller Anwalt vor einem Gericht in Rom je eines billigeren Tricks bedient als dieses grauenhaften Vorführens der Gespenster seiner toten Frau und seines toten Kindes? Sie legte sich den Umhang über die Schultern und warf dann den Kopf zurück, sodass ihr langes dunkles Haar über den Kragen fiel, und diese Geste hatte etwas Beeindruckendes: Sie würde tun, was er verlangte, aber sie würde nicht akzeptieren, dass er Recht hatte. Kein einziger Blick wanderte in seine Richtung, als sie sich mühelos in den Sattel schwang. Sie schnalzte mit der Zunge, nahm die Zügel auf und ritt hinter Polites her.
    Es kostete ihn seine ganze Selbstbeherrschung, ihr nicht nachzulaufen. Was er tat, war eine elende Belohnung für all die Risiken, die sie seinetwegen eingegangen war. Aber was sonst hatte sie von ihm erwartet? Und was das Schicksal anging: Er glaubte an das Schicksal.

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