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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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hatte! Gegen die Vergöttlichung von Kaisern hatte er niemals etwas einzuwenden gehabt – »Ein Gott ist ein Mensch, der Menschen hilft«, das war seine Philosophie –, und der Göttliche Augustus verdiente seinen Platz im Pantheon schon deswegen, weil er den Bau des campanischen Aquädukts und der Piscina mirabilis angeordnet hatte. Als er das Zentrum des Reservoirs erreicht hatte, war er kurzatmig von der Anstrengung, die Füße immer wieder aus dem klebrigen Schlamm herauszuziehen. Als Gaius zu ihm trat, stützte er sich an einem Pfeiler ab. Aber er war froh, dass er die Mühe auf sich genommen hatte. Der Wassersklave hatte recht daran getan, nach ihm schicken zu lassen. Dies war tatsächlich etwas, das zu sehen sich lohnte: Ein Geheimnis der Natur war zugleich ein Geheimnis des Menschen.
    Der Gegenstand im Schlamm war eine Amphore von der Art, wie sie zum Aufbewahren von Ätzkalk benutzt wurde. Sie stand fast aufrecht, und ihr unteres Ende hatte sich in das weiche Bett des Reservoirs eingebohrt. An ihren Griffen war ein langes, dünnes Seil befestigt, das neben ihr im Schlamm lag. Der Deckel, der mit Wachs versiegelt gewesen war, war aufgestemmt worden. Um sie herum lagen, verstreut und im Schlamm glänzend, an die hundert kleine Silbermünzen.
    »Es ist nichts angerührt worden, Befehlshaber«, sagte Dromo ängstlich. »Ich habe ihnen gesagt, sie sollen alles so lassen, wie sie es vorgefunden haben.«
    Plinius blies die Backen auf. »Wie viel, meinst du, ist da drin?«
    Sein Neffe vergrub beide Hände in der Amphore, formte sie zu einem Becher und zeigte sie Plinius. Sie waren randvoll mit silbernen Denarii. »Ein Vermögen, Onkel.«
    »Und zwar ein illegal erworbenes, das dürfte feststehen. Es verunglimpft den ehrlichen Schlamm.« Weder auf dem irdenen Gefäß noch auf dem Seil hatte sich viel Sediment abgelagert, was bedeutete, dass es noch nicht lange auf dem Grund des Reservoirs gelegen haben konnte – höchstens einen Monat. Er schaute zu der gewölbten Decke empor. »Jemand muss hierher gerudert sein«, sagte er, »und es über den Bootsrand heruntergelassen haben.«
    »Und dann hat er das Seil fallen gelassen?« Gaius musterte ihn verwundert. »Aber wer sollte so etwas getan haben? Wie hätte er hoffen können, es wiederzubekommen? Kein Taucher könnte so tief hinunter schwimmen!«
    »Das stimmt.« Plinius holte selbst ein paar Münzen heraus, musterte sie auf seiner dicklichen Handfläche und schob sie mit dem Daumen auseinander. Vespasians vertrautes, mürrisches Gesicht schmückte die eine Seite, die heiligen Gerätschaften der Auguren die andere. Die Inschrift auf dem Rand – IMP CAES VESP AVG COS III – bewies, dass sie während des dritten Konsulats des Kaisers geprägt worden waren, also vor acht Jahren. »Dann müssen wir davon ausgehen, dass ihr Besitzer nicht vorhatte, sie durch Tauchen wiederzubekommen, Gaius, sondern indem er das Reservoir entleerte. Und der einzige Mann, der befugt war, die Piscina zu entleeren, wann immer er es wollte, war unser verschwundener Aquarius Exomnius.«

Hora quarta
    [10.37 Uhr]
     
    »In neueren Untersuchungen festgestellte Durchschnittsgeschwindigkeiten des Aufsteigern von Magma deuten darauf hin, dass das Magma in der Kammer des Vesuv ungefähr vier Stunden vor dem Ausbruch, das heißt schätzungsweise um 9 Uhr am Morgen des 24. August, begonnen haben könnte, mit einer Geschwindigkeit von 0,2 Metern pro Sekunde im Schlot des Vulkans aufzusteigen.«
     
    Burkhard Müller-Ullrich (Hrsg.),
    Dynamics of Volcanism
     
    Die Quattuorviri – der Viermänner-Ausschuss, sprich, die gewählten Magistrate von Pompeji – waren zu einer Krisensitzung im Wohngemach des Lucius Popidius zusammengekommen. Die Sklaven hatten für jeden von ihnen einen Stuhl hereingebracht sowie einen kleinen Tisch, um den herum sie saßen und warteten, zumeist schweigend, mit verschränkten Armen. Ampliatus hatte sich, aus Rücksicht darauf, dass er kein Magistrat war, auf einer Liege in der Ecke ausgestreckt, aß eine Feige und beobachtete die vier Männer. Durch die offene Tür konnte er das Schwimmbecken und seinen versiegten Springbrunnen sehen, in einer Ecke des gefliesten Gartens spielte eine Katze mit einem kleinen Vogel. Das Ritual eines hinausgezögerten Todes faszinierte ihn. Bei den Ägyptern galt die Katze als heiliges Tier; von allen Geschöpfen kam sie mit ihrer Intelligenz dem Menschen am nächsten. Und soweit er wusste, waren es in der ganzen Natur nur die Katzen und die

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