Pompeji
Menschen, denen Grausamkeit ein offenkundiges Vergnügen bereitete. Bedeutete das, dass Grausamkeit und Intelligenz stets Hand in Hand gingen? Ein interessanter Gedanke.
Er aß eine weitere Feige. Das schlürfende Geräusch, das er dabei machte, ließ Popidius zusammenzucken. »Ich muss schon sagen, du scheinst überaus zuversichtlich zu sein, Ampliatus.« In seinen Worten schwang eine leichte Gereiztheit mit.
»Ich bin überaus zuversichtlich. Du solltest dich wirklich entspannen.«
»Du hast gut reden. Dein Name steht nicht unter fünfzig Bekanntmachungen in der ganzen Stadt, die jedermann versichern, dass das Wasser am Mittag wieder fließen wird.«
»Verantwortung der Öffentlichkeit gegenüber – der Preis eines Wahlamtes, mein lieber Popidius.« Ampliatus schnippte mit den saftverschmierten Fingern, und ein Sklave brachte ihm eine kleine Silberschale. Er tauchte seine Hände hinein und trocknete sie dann an der Tunika des Sklaven ab. »Verlasst euch auf die römische Baukunst, ihr Herren. Alles kommt wieder ins Lot.«
Es war vier Stunden her, seit Pompeji zu einem weiteren heißen und wolkenlosen Tag erwacht war und feststellen musste, dass seine Wasserversorgung ausgefallen war. Ampliatus' instinktive Voraussagen hatten sich als richtig erwiesen. Nachdem sich der größte Teil der Bevölkerung am Vorabend versammelt hatte, um Vulkan ein Opfer zu bringen, fiel es selbst den am wenigsten Abergläubischen schwer, in dieser Tatsache nicht einen weiteren Beweis für den Zorn des Gottes zu sehen. Schon kurz nach Tagesanbruch hatten sich Gruppen von beunruhigten Menschen auf den Straßen zusammengefunden. In den von L. Popidius Secundus unterschriebenen Bekanntmachungen, die auf dem Forum und an den wichtigsten Brunnen angeschlagen worden waren, hieß es, dass Reparaturen am Aquädukt im Gange seien und das Wasser um die siebente Stunde wieder fließen würde. Aber das war kaum eine Beruhigung für Leute, die sich an das entsetzliche Erdbeben vor siebzehn Jahren erinnerten – auch damals war das Wasser versiegt –, und den ganzen Morgen hatte sich in der Stadt ein Gefühl der Unruhe breit gemacht. Einige Läden blieben geschlossen. Ein paar Leute hatten mit ihrer Habe auf Karren die Stadt verlassen, lautstark verkündend, dass Vulkan im Begriff war, Pompeji ein zweites Mal zu zerstören. Und jetzt hatte sich herumgesprochen, dass sich die Quattuorviri im Haus des Popidius versammelt hatten. Auf der Straße vor der Tür hatte sich eine Menschenmenge eingefunden. Gelegentlich war in dem behaglichen Wohngemach das Lärmen der Menge zu hören: ein Knurren, ähnlich dem Geräusch der wilden Tiere in den Tunneln des Amphitheaters, kurz bevor sie für den Kampf mit den Gladiatoren hinausgelassen wurden.
Brittius erschauderte. »Ich habe dir doch gesagt, dass wir uns nie hätten bereitfinden dürfen, diesem Wasserbaumeister zu helfen.«
»Das stimmt«, pflichtete Cuspius ihm bei. »Ich habe es von Anfang an gesagt. Und nun siehst du, was uns das eingebracht hat.«
Aus dem Gesicht eines Mannes kann man so viel ablesen, dachte Ampliatus. Wie sehr er Essen und Trinken genoss, welche Art von Arbeit er tat, seinen Stolz, seine Feigheit, seine Stärken. Popidius zum Beispiel sah gut aus und war schwach; Cuspius war wie sein Vater tapfer, brutal und dumm; Brittius von Zügellosigkeit erschlafft; Holconius essigscharf und gerissen – eindeutig ein Genießer von zu vielen Anchovis und zu viel Fischsoße.
»Unsinn«, sagte Ampliatus verbindlich. »Denkt doch einmal nach. Wenn wir ihm nicht geholfen hätten, wäre er einfach nach Nola weitergereist und hätte dort um Hilfe ersucht, und wir hätten trotzdem unser Wasser verloren, nur einen Tag später – und welchen Eindruck hätte das gemacht, wenn Rom davon erfahren hätte? Außerdem wissen wir auf diese Weise genau, wo er sich aufhält. Er befindet sich in unserer Hand.«
Den anderen war es nicht aufgefallen, aber der alte Holconius drehte sich sofort um. »Und weshalb ist es wichtig, dass wir wissen, wo er sich aufhält?«
Einen Augenblick lang war Ampliatus um eine Antwort verlegen. Dann entschied er sich für ein Lachen. »Ist es nicht immer nützlich, so viel wie möglich zu wissen, Holconius? Das ist den Preis von ein paar Sklaven und einem bisschen Holz und Kalk wert. Ist es nicht wesentlich leichter, einen Mann zu beherrschen, wenn er einem etwas schuldet?«
»Ja, das ist es«, sagte Holconius anzüglich und blickte über den Tisch hinweg auf Popidius.
Sogar
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