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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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füllte.
    Er flüsterte: »Es läuft.«
    Als er sich vergewissert hatte, dass es kein Irrtum war und die Augusta in der Tat wieder zu fließen begonnen hatte, rollte er den schweren Deckel herbei. Er senkte ihn langsam über dem Schacht ab und zog im letzten Augenblick die Finger zurück, bevor er ihn die restlichen paar Zoll fallen ließ. Mit einem Dröhnen war der Tunnel verschlossen.
    Er band sein Pferd los und schwang sich in den Sattel. Die Markierungssteine sahen im Hitzeglast aus wie eine Reihe von eingegrabenen Felsbrocken. Er nahm die Zügel auf und wandte sich von der Augusta ab und dem Vesuv zu. Er trieb sein Pferd an, und sie bewegten sich auf dem Pfad voran, der auf den Berg zuführte, zuerst im Schritt und dann, als das Gelände anzusteigen begann, im Trab.
     
    In der Piscina mirabilis war das letzte Wasser abgeflossen, und das große Reservoir war leer – ein seltener Anblick. Das letzte Mal war das vor einem Jahrzehnt der Fall gewesen; damals war das Becken zum Zwecke der Erhaltung entleert worden, damit die Sklaven den abgesetzten Schlamm herausschaufeln und die Wände auf Risse untersuchen konnten. Plinius hörte aufmerksam zu, als ihm der Sklave das Funktionieren des Systems erklärte. An technischen Dingen war er immer interessiert.
    »Und wie oft geschieht das?«
    »Gewöhnlich alle zehn Jahre, Befehlshaber.«
    »Also wäre es bald wieder fällig gewesen?«
    »Ja, Befehlshaber.«
    Sie standen auf den Stufen des Reservoirs, ungefähr auf halber Höhe – Plinius, sein Neffe, sein Sekretär Alexion und der Wassersklave Dromo. Plinius hatte befohlen, dass nichts verändert werden sollte, bis er eingetroffen war, und ein Seesoldat stand an der Tür Posten und verwehrte Unbefugten den Zutritt. Aber die Nachricht von der Entdeckung hatte sich verbreitet, und auf dem Platz hatte sich die übliche neugierige Menge eingefunden.
    Der Boden der Piscina sah aus wie ein schlammiger Strand, nachdem die Flut abgelaufen ist. Hier und dort, wo das Sediment Vertiefungen aufwies, standen kleine Pfützen, und alle möglichen Dinge – verrostetes Werkzeug, Steine, Schuhe – , die im Laufe der Jahre ins Wasser gefallen und auf dem Grund gelandet waren, lagen herum oder waren so tief eingesunken, dass von ihnen nichts mehr zu sehen war als kleine Buckel auf der glatten Oberfläche. Das Ruderboot war gestrandet. Mehrere Fußspuren führten vom Ende der Treppe ins Zentrum des Reservoirs, wo ein großer Gegenstand lag, und wieder zurück. Dromo fragte, ob der Befehlshaber wünschte, dass er ihn holte.
    »Nein«, sagte Plinius. »Ich möchte selbst sehen, wo er liegt. Sei so gut, Gaius.« Er zeigte auf seine Schuhe, und sein Neffe kniete nieder und löste die Riemen, während sich Plinius auf Alexion stützte. Er empfand eine fast kindliche Vorfreude, und dieses Gefühl wurde noch stärker, als er die letzten Stufen hinabstieg und seine Füße in das Sediment absenkte. Schwarzer Schlamm quoll zwischen seinen Zehen hervor, köstlich kühl, und plötzlich war er wieder ein Junge, daheim auf dem Familiensitz in Comum in Gallia Transpadana, spielte am Ufer des Sees, und die dazwischen liegenden Jahre – fast ein halbes Jahrhundert – kamen ihm so wenig real vor wie Träume. Wie oft passierte das im Laufe jedes Tages? Früher hatte er das nie erlebt. Aber in letzter Zeit konnte alles das auslösen – eine Berührung, ein Geruch, ein Geräusch, eine Farbe –, und Erinnerungen, von denen er gar nicht wusste, dass er sie noch hatte, fluteten zurück, als wäre nichts mehr von ihm übrig als ein schwer atmender Sack voller erinnerter Eindrücke.
    Er hob die Falten seiner Toga an und begab sich vorsichtig auf den Weg. Seine Füße sanken in den Schlamm ein und machten jedes Mal, wenn er einen anhob, ein herrlich saugendes Geräusch. Hinter sich hörte er Gaius rufen: »Sei vorsichtig, Onkel!«, aber er schüttelte den Kopf und lachte. Er hielt sich von den Spuren fern, die die anderen hinterlassen hatten. Es machte mehr Spaß, die Kruste zu durchbrechen, wo sie noch unberührt war und sich in der warmen Luft gerade zu verhärten begann. Die anderen folgten ihm in respektvollem Abstand.
    Was für ein außerordentlicher Bau, dachte er, dieses unterirdische Gewölbe mit seinen Pfeilern, jeder zehnmal so hoch wie ein Mann! Welche Erfindungsgabe hatte sich das ausgedacht, welcher Wille und welche Kraft hatten den Bau verwirklicht – und das alles, um Wasser zu speichern, das bereits eine Strecke von sechzig Meilen zurückgelegt

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