Pompeji
Popidius war nicht so dumm, dass ihm die Beleidigung entgangen wäre. Er wurde scharlachrot. »Was willst du damit sagen?« Er schob seinen Stuhl zurück.
»Hört mir zu!«, befahl Ampliatus. Er wollte diese Unterhaltung beenden, bevor sie in Streit ausartete. »Ich wollte euch von einer Prophezeiung erzählen, die ich im Sommer eingeholt habe, als die Beben begannen.«
»Eine Prophezeiung?« Popidius setzte sich wieder hin. Sein Interesse war sofort geweckt. Er liebte derartiges Zeug, das wusste Ampliatus: die alte Biria mit ihren zwei magischen Bronzehänden, ihren mystischen Symbolen, ihrem Käfig voller Schlangen, ihren milchweißen Augen, die zwar nicht das Gesicht eines Menschen sehen, wohl aber in die Zukunft schauen konnten. »Du hast die Sibylle befragt? Was hat sie gesagt?«
Ampliatus stellte eine angemessen feierliche Miene zur Schau. »Sie hat Sabazius Schlangen geopfert und sie dann abgehäutet, um ihre Bedeutung zu erkennen. Ich war die ganze Zeit dabei.« Er erinnerte sich an die Flammen auf dem Altar, den Rauch, die glitzernden Hände, den Weihrauch, die zittrige Stimme der Sibylle: Schrill, kaum menschlich war sie gewesen – wie der Fluch dieser alten Frau, deren Sohn er den Muränen vorgeworfen hatte. Der ganze Vorgang hatte ihn wider Willen beeindruckt. »Sie hat eine Stadt gesehen – unsere Stadt –, viele Jahre später. Tausend Jahre später, vielleicht sogar mehr.« Er dämpfte seine Stimme zu einem Flüstern. »Sie hat eine Stadt gesehen, die in der ganzen Welt berühmt ist. Unsere Tempel, unser Amphitheater, unsere Straßen – überall wimmelte es von Menschen jeder Sprache. Das war es, was sie in den Eingeweiden der Schlangen gesehen hat. Was wir hier gebaut haben, wird fortdauern – noch lange nachdem die Caesaren zu Staub zerfallen sind und das Imperium untergegangen ist.«
Er lehnte sich zurück. Fast hatte er sich selbst überzeugt. Popidius stieß den angehaltenen Atem aus. »Biria Onomastia«, sagte er, »irrt sich nie.«
»Und sie wird das alles wiederholen?«, fragte Holconius skeptisch. »Sie wird uns von dieser Prophezeiung Gebrauch machen lassen?«
»Das wird sie«, bestätigte Ampliatus. »Jedenfalls will ich ihr das geraten haben. Ich habe einen Haufen Geld dafür bezahlt.« Ihm war, als hätte er etwas gehört. Er erhob sich von der Liege und trat hinaus in den Sonnenschein des Gartens. Der Springbrunnen, der das Schwimmbecken speiste, hatte die Form einer Nymphe, die einen Krug entleert. Als er näher herankam, hörte er es wieder, ein schwaches Gurgeln, und dann begann Wasser über den Rand des Kruges zu tröpfeln. Das Rinnsal stockte, spritzte, schien wieder zu versiegen, aber dann begann das Wasser kräftiger zu fließen. Plötzlich fühlte sich Ampliatus überwältigt von den mystischen Gewalten, die er freigesetzt hatte. Er winkte die anderen herbei. »Da seht ihr es. Ich habe es auch gesagt. Die Prophezeiung trifft zu!«
Unter den Bekundungen von Freude und Erleichterung brachte sogar Holconius ein dünnes Lächeln zustande. »Das ist gut.«
»Scutarius!«, rief Ampliatus dem Hausverwalter zu. »Bring den Quattuorviri unseren besten Wein: den Cäcuber. Weshalb auch nicht? Und nun, Popidius – soll ich den Leuten die gute Nachricht überbringen oder willst du es tun?«
»Tu du es, Ampliatus. Ich brauche etwas zu trinken.«
Ampliatus eilte durch das Atrium zu der großen Haustür. Er bedeutete Massavo, sie zu öffnen, und trat auf die Schwelle. Auf der Straße drängten sich vielleicht hundert Leute – seine Leute, wie er gern dachte. Er hob die Arme, um ihnen Schweigen zu gebieten. »Ihr alle wisst, wer ich bin«, rief er, als das Stimmengemurmel verstummt war. »Und ihr alle wisst, dass ihr mir vertrauen könnt.«
»Warum sollten wir?«, rief ein Mann im Hintergrund.
Ampliatus ignorierte ihn. »Das Wasser fließt wieder! Wenn ihr mir nicht glaubt – wie dieser unverschämte Bursche hier –, geht zu den Brunnen und seht selbst. Der Aquädukt ist repariert! Und später am Tag wird eine wundervolle Prophezeiung der Sybille Biria Onomastia bekannt gegeben. Um der Kolonie von Pompeji Angst einzujagen, ist mehr erforderlich als ein gelegentliches Beben der Erde und ein heißer Sommer!«
Ein paar Leute applaudierten. Ampliatus strahlte und schwenkte die Hand. »Ich wünsche euch allen einen guten Tag! Geht wieder an die Arbeit. Salve lucrunt! Lucrum gaudium!« Er steckte den Kopf in die Vorhalle. »Wirf ihnen ein bisschen Geld zu, Scutarius«, zischte er,
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