Pompeji
immer noch die Menge anlächelnd. »Aber nicht zu viel. Genug für etwas Wein für alle.«
Ampliatus verweilte lange genug, um die Auswirkungen seiner Großzügigkeit zu beobachten und zu sehen, wie sich die Menge um die Münzen balgte, dann kehrte er ins Atrium zurück. Er rieb sich vor Freude die Hände. Das Verschwinden von Exomnius hatte seinen Gleichmut erschüttert, das wollte er nicht bestreiten, aber in weniger als einem Tag hatte er das Problem gelöst: Der Springbrunnen sah aus, als liefe das Wasser jetzt normal, und wenn dieser junge Aquarius noch nicht tot war, dann würde er es bald sein. Ein Grund zum Feiern! Aus dem Wohngemach kamen die Geräusche von Lachen und dem Klirren von Kristallgläsern. Er war gerade im Begriff, das Schwimmbecken zu umrunden und sich zu den Magistern zu gesellen, als er zu seinen Füßen den Kadaver des Vogels sah, dessen Tötung er beobachtet hatte. Er stieß ihn mit dem Zeh an, dann bückte er sich und hob ihn auf. Der winzige Körper war noch warm. Eine rote Kappe, weiße Wangen, schwarzgelbe Flügel. In einem Auge war ein Tropfen Blut.
Ein Distelfink. Nichts als Flaum und Federn. Einen Moment lang wog er ihn in der Hand, während sich in seinem Hinterkopf ein finsterer Gedanke regte, dann ließ er den Vogel fallen und stieg rasch die Stufen in den Garten seines alten Hauses hinauf, der von Säulen umgeben war. Die Katze sah ihn kommen und schoss hinter einen Strauch, aber Ampliatus lag nichts an einer Verfolgung. Sein Blick streifte den leeren Käfig auf Corelias Balkon und die dunklen, mit Laden verschlossenen Fenster ihres Zimmers. Er schrie: »Celsia!«, und seine Frau kam angerannt. »Wo ist Corelia?«
»Ihr war unwohl. Ich habe sie schlafen lassen …«
»Hol sie! Sofort!« Er schob Celsia in Richtung Treppe, machte kehrt und eilte in sein Arbeitszimmer.
Es war unmöglich …
Sie würde es nicht wagen …
Im selben Moment, als er die Lampe ergriff und sie zu seinem Pult trug, wusste er, dass etwas nicht stimmte. Es war ein alter Trick, den er von seinem früheren Herrn gelernt hatte – ein Haar in der Schublade, das ihm verriet, ob sich eine neugierige Hand in seine Angelegenheiten gemischt hatte –, aber die List funktionierte recht gut, und er hatte allen zu verstehen gegeben, dass er jeden Sklaven, der nicht vertrauenswürdig war, kreuzigen lassen würde.
Da war kein Haar. Und als er die Kassette öffnete und den Kasten mit den Dokumenten herausholte, waren auch keine Papyri darin. Er stand da wie ein Narr, kippte die leere capsa um und schüttelte sie wie ein Zauberer, der den Rest seines Tricks vergessen hat. Dann schleuderte er sie quer durchs Zimmer, wo sie an der Wand zersplitterte. Er stürmte hinaus auf den Hof. Seine Frau hatte Corelias Läden geöffnet und stand, die Hände vors Gesicht geschlagen, auf dem Balkon.
Corelia hatte dem Berg den Rücken zugekehrt, als sie durch das Vesuvius-Tor und auf den Platz neben dem Castellum aquae ritt. Die Brunnen liefen wieder, wenn auch noch schwach, und von der Anhöhe aus konnte sie sehen, dass über Pompeji eine Staubwolke hing, aufgeworfen vom Verkehr in den ausgetrockneten Straßen. Die Geräusche von Geschäftigkeit hingen wie ein unbestimmbares Summen über den rot gedeckten Dächern.
Sie hatte sich auf ihrem Heimritt Zeit gelassen und ihr Pferd kein einziges Mal zu einem schnelleren Tempo als Schritt angetrieben, während sie den Vesuv umrundete und die Ebene überquerte. Jetzt hatte sie keinen Grund mehr zur Eile. Als sie, getreulich gefolgt von Polites, zu der großen Straßenkreuzung hinabritt, schienen die kahlen Mauern an beiden Seiten der Straßen sie einzuschließen wie ein Gefängnis. Orte, die sie seit ihrer Kindheit geliebt hatte – die verborgenen Schwimmbecken und die duftenden Blumengärten, die Läden mit ihren Schmucksachen und Stoffen, die Theater und die belebten Bäder –, waren für sie jetzt so tot wie Asche. Sie sah die zornigen, mutlosen Gesichter der Leute, die sich um die Brunnen drängten und versuchten, ihre Töpfe unter das tröpfelnde Wasser zu halten, und wieder musste sie an den Aquarius denken. Sie fragte sich, wo er war und was er tat. Die Geschichte von seiner Frau und seinem Kind war ihr auf dem ganzen Heimweg nicht aus dem Kopf gegangen.
Corelia wusste, dass er Recht hatte. Sie konnte ihrem Schicksal nicht entkommen. Als sie sich dem Haus ihres Vaters näherte, verspürte sie weder Zorn noch Angst; vielmehr hatte sie das Gefühl, tot zu sein – erschöpft,
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