Poor Economics
stattfindende Town Meeting im amerikanischen Bundesstaat Vermont, bei dem in lockerer Atmosphäre spitzzüngige Reden gehalten werden. Aber die Wirklichkeit in den kommunalpolitischen Versammlungen in Entwicklungsländern ist viel weniger unterhaltsam. Die Weltbank fördert Projekte, die Gemeinschaften das Geld für den Auf- oder Ausbau der dörflichen Infrastruktur geben, wie etwa von Straßen oder Bewässerungskanälen. Zu den Versammlungen des Kecamatan-Development- Projekts (KDP) in einem indonesischen Dorf kamen etwa fünfzig von mehreren Hundert erwachsenen Einwohnern, und die Hälfte davon gehörte der dortigen Führungsschicht an. Die meisten Anwesenden hörten lediglich zu: Bei den KDP-Versammlungen ergriffen durchschnittlich nicht mehr als acht Personen das Wort, davon zählten sieben zu den gesellschaftlich Höherstehenden.
Daraus könnte man leicht den Schluss ziehen, das eherne Gesetz der Oligarchie bestätige sich so auf Dorfebene. Aber kleine Änderungen im Verfahren änderten alles. In einigen zufällig ausgewählten
indonesischen Dörfern wurden die Menschen offiziell und schriftlich zu den Versammlungen eingeladen. Damit änderte sich die Beteiligung deutlich: Es kamen im Schnitt fast 65 Besucher, darunter 38, die nicht der Führungsschicht angehörten. Mehr Menschen ergriffen das Wort, und die Versammlungen wurden lebhafter. Einige der Einladungsschreiben enthielten außerdem einen Fragebogen zur Art und Weise, wie die Versammlungen abliefen. In einem Teil der (nach dem Zufallsprinzip ausgewählten) Dörfer wurden die Schreiben an alle Schulkinder ausgeteilt, mit der Bitte, sie den Eltern zu bringen. In anderen Dörfern verteilte sie der Dorfvorsteher. In den Fragebögen, die über die Schulen ausgegeben wurden, fielen die Kommentare wesentlich kritischer aus als dort, wo die Dorfvorsteher sie verteilt hatten.
Wenn das Verfahren einen so großen Unterschied macht, dann ist es ungemein wichtig, wer es festlegen darf. In einem Dorf, das sich selbst überlassen ist, muss man damit rechnen, dass die Führungsschicht die Festlegung der Regeln an sich zieht. Daher könnte es besser sein, wenn eine zentrale Autorität, die die Interessen der Benachteiligten und der Schwächeren berücksichtigt, die dezentralen Strukturen und Entscheidungswege vorgibt. Also nur fast alle Macht dem Volk.
Ein Beispiel für eine solche Intervention von oben sind Regelungen, welche Personen(gruppen) die Dorfbewohner als Vertretung wählen dürfen. Diese Einschränkungen können notwendig sein, damit Minderheiten adäquat repräsentiert werden, und sie zeigen Wirkung.
Indien hat ein System der kommunalen Selbstverwaltung mit solchen Beschränkungen. Der gram panchayat (wörtlich »Versammlung der Fünf«), abgekürzt GP, oder Dorfrat wird alle fünf Jahre gewählt und kümmert sich um die dörfliche Infrastruktur, wie Brunnen, Schulgebäude, Landstraßen und so weiter. Zum Schutz von unterrepräsentierten Gruppen sehen die gesetzlichen Regelungen vor, dass in einem Teil der Dorfräte die Führungspositionen Frauen und Angehörigen verschiedener Minderheiten
(die niedrigen Kasten eingeschlossen) vorbehalten sind, und dass diese Gruppen auch innerhalb der Räte mit einem bestimmten Anteil vertreten sein müssen. Doch wenn die Eliten die panchayats komplett vereinnahmen würden, könnte auch die verordnete Vertretung von Frauen oder Minderheiten nichts ausrichten. Die wahren Dorffürsten würden weiterhin regieren, mit ihren Frauen oder Bediensteten aus niedrigen Kasten als Marionetten, wenn sie selbst nicht für ein Amt kandidieren dürfen. Raghabendra Chattopadhyay vom indischen Institute of Management in Kolkata (früher Kalkutta) und Esther begannen im Jahr 2000 zu untersuchen, ob Frauen anders in dörfliche Infrastrukturen investieren als männliche Dorfvorstände ( pradhan ). Sie wurden tatsächlich von allen Seiten »gewarnt« – vom Minister für die Entwicklung des ländlichen Raums in Kolkata bis zu ihrem eigenen Befragungsteam und vielen lokalen Akademikern –, das sei vergebliche Liebesmüh. Alle behaupteten, die Strippen würden von den pradhanpatis (den Ehemännern der Dorfvorsteherinnen) gezogen, und die schüchternen, oft ungebildeten Frauen, viele mit verhülltem Kopf, würden ganz sicher keine eigenen Entscheidungen treffen.
Die Untersuchung erbrachte jedoch das Gegenteil. Im indischen Bundesstaat Westbengalen verlangt das Quotengesetz, dass ein Drittel der Dörfer (die alle fünf Jahre nach dem
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