Poor Economics
gewählt zu werden. Im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh, wo sich die Politik in den achtziger und neunziger Jahren immer mehr an Kasten orientiert hat, ist dieses Phänomen sehr gut zu beobachten. Es kam in allen Regionen im Lauf der Zeit zu einem enormen Anstieg der Korruption unter den siegreichen Politikern aus der zahlenmäßig dominierenden Kaste. 29 Unabhängig davon, ob die Bevölkerungsmehrheit in der betreffenden Region der niedrigen oder der hohen Kaste angehörte, waren die
Sieger aus der dominierenden Gruppe mit höherer Wahrscheinlichkeit korrupt. In den neunziger Jahren lief gegen 25 Prozent der Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung, des Parlaments des Bundesstaats, ein Strafverfahren.
Müssen wir uns damit abfinden, dass Wahlen in den Entwicklungsländern von der Frage nach der ethnischen Zugehörigkeit beherrscht werden? Es gab und gibt immer Wissenschaftler, die das bejahen. Ihrer Überzeugung nach ist die ethnische Loyalität die Basis traditioneller Gesellschaften und wird das politische Denken so lange beherrschen, bis sich die Gesellschaft modernisiert. 30 Doch wir haben Hinweise, dass das ethnisch motivierte Wahlverhalten nicht so tief verwurzelt ist, wie man gemeinhin glaubt. Vor den Wahlen im Bundesstaat Uttar Pradesh im Jahr 2007 führten Abhijit, Donald Green, Jennifer Green und Rohini Pande ein Experiment durch: Zusammen mit einer Nichtregierungsorganisation organisierten sie in zufällig ausgewählten Dörfern eine parteiunabhängige Kampagne (mit Straßentheater und Puppenspielen) um den einfachen Slogan »Don’t vote on caste, vote on development issues« (»Stimme nicht über Kasten, sondern über Entwicklungsfragen ab«). Diese einfache Botschaft ließ die Wahrscheinlichkeit, dass sich Wähler für einen Kandidaten aus ihrer eigenen Kaste entschieden, von 25 Prozent auf 18 Prozent sinken. 31
Warum stimmen manche Menschen entsprechend ihrer Kastenzugehörigkeit ab, lassen sich aber sehr leicht umstimmen, wenn sie von einer Nichtregierungsorganisation aufgefordert werden, noch einmal nachzudenken? Eine Antwort lautet: Oft wissen die Wähler nur sehr wenig über das, was sie wählen – in der Regel haben sie den Kandidaten noch nie gesehen, außer im Wahlkampf, wenn alle auftauchen und mehr oder weniger dieselben Versprechungen machen. Es lässt sich zum Beispiel nicht ohne Weiteres herausfinden, wer korrupt ist und wer nicht; das führt leicht dazu, dass man alle für gleich korrupt hält. Auch wissen die Wähler oft nicht, welche Machtbefugnisse ihre gewählten Vertreter haben: Häufig haben wir indische Stadtbewohner klagen
hören, ihr Abgeordneter (im Parlament des Bundesstaats) kümmere sich nicht um den Zustand des Abwassersystems in den Slums; doch für solche Probleme ist eigentlich der Stadtverordnete zuständig. Das führt dazu, dass die Abgeordneten im Parlament des Bundesstaats das Gefühl haben, für alles verantwortlich gemacht zu werden, was nicht klappt, und das wirkt sich nicht gerade motivierend auf ihre Leistungsbereitschaft aus.
Nachdem die Kandidaten für die Wähler alle mehr oder weniger gleich aussehen (vielleicht sogar gleich schlecht), glauben sie vermutlich, dass sie dann auch nach Kastenzugehörigkeit wählen können: Immerhin gibt es eine kleine Chance, dass sich die Loyalität zur Kaste auszahlt und sich der Politiker für sie einsetzt – und überhaupt: Was haben sie zu verlieren? Doch anscheinend sind viele auch davon nicht wirklich überzeugt, weshalb sie sich leicht umstimmen lassen.
Brasilien hat den Versuch gestartet, die Wähler mit nützlichen Informationen über Kandidaten zu versorgen. Seit 2003 werden jeden Monat 60 Städte und Gemeinden in einer vom Fernsehen übertragenen Lotterie ausgewählt, ihre Bücher werden geprüft und die Ergebnisse dieser Audits via Internet und über die lokalen Medien öffentlich gemacht. Solche Prüfungen treffen korrupte Amtsinhaber schwer. Bei den Wahlen im Jahr 2004 sank die Wahrscheinlichkeit für ihre Wiederwahl um 12 Prozentpunkte, wenn die Ergebnisse vor der Wahl bekannt geworden waren. Ehrliche Amtsinhaber dagegen wurden mit einer um 13 Prozentpunkte höheren Wahrscheinlichkeit wiedergewählt, wenn die Untersuchungsergebnisse vor der Wahl veröffentlicht wurden. Ähnliche Befunde gibt es für die Slums von Delhi: Wähler, die über die Leistungen ihrer Vertreter informiert waren, stimmten gegen die Amtsinhaber, wenn deren Leistungen schlecht waren. 32
Wie man sieht, sind die Unterschiede
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