Poor Economics
strukturierten Städten, die noch nicht umgestellt hatten – die Zahl der ungültigen Stimmen um 11 Prozent. Die Wähler, die auf diese Weise erstmals ihr Wahlrecht richtig ausüben konnten, waren ärmer und weniger gebildet. Die Politiker, die sie wählten, waren ebenfalls ärmer und weniger gebildet. Und die Politik, die diese Politiker machten, kam häufiger den Armen zugute: Insbesondere stiegen die Ausgaben für das öffentliche Gesundheitswesen, die Zahl der Babys mit niedrigem Geburtsgewicht (meist Kinder von weniger gebildeten Müttern) dagegen nahm ab. Eine kleine technische Neuerung hat, ganz ohne große politische Auseinandersetzungen, die Art und Weise verändert, wie die Stimme der Armen auf der politischen Bühne Brasiliens Gehör findet. 25
(Fast) alle Macht dem Volk
Ein weiteres Beispiel dafür, welch überraschende Tragweite kleine Veränderungen haben können, sind die Regeln, nach denen politische Entscheidungen auf kommunaler Ebene getroffen werden. Viele internationale Institutionen verfolgen inzwischen einen neuen Kurs und übergeben den Menschen, die Gelder erhalten, auch die Verantwortung dafür, dass Schulen, Krankenhäuser und Verbindungsstraßen gut in Schuss sind und ordentlich funktionieren. In der Regel geschieht das, ohne die Armen ausdrücklich
zu fragen, ob sie diese Verantwortung überhaupt übernehmen wollen.
Angesichts des Versagens des Staates, den Armen eine Grundversorgung zu bieten, wie wir es in verschiedenen Kapiteln dieses Buches dargestellt haben, erscheint es auf den ersten Blick absolut logisch, die Mittel zur Armutsbekämpfung den Armen selbst in die Hand zu geben. Die Leute, denen das Geld helfen soll, sind ganz direkt von der schlechten Grundversorgung betroffen, deshalb sollten sie das größte Interesse daran haben. Darüber hinaus wissen sie besser, was sie wollen und was vor Ort geschieht. Wenn man die Betroffenen in die Lage versetzen würde, diejenigen zu überwachen, die für die Grundversorgung zuständig sind (Ärzte, Lehrer, Ingenieure) – entweder mit der Kompetenz, sie einzustellen und zu entlassen, oder zumindest mit der Möglichkeit, sich über sie zu beschweren –, dann sollte sichergestellt sein, dass diejenigen, die die richtige Motivation und die richtigen Informationen haben, auch diejenigen sind, die die Entscheidungen treffen. »Wenn für die Kommunen viel auf dem Spiel steht«, schrieb die Weltbank in ihrem Weltentwicklungsbericht von 2004, »dann nehmen sie das Problem auch in Angriff.« 26 Außerdem vermag unter Umständen schon allein die Tatsache, dass man zusammen an einem Projekt arbeitet, soziale Bindungen in den Gemeinschaften nach einem Bürgerkrieg wiederherzustellen. In sogenannten Community-Driven-Development -Projekten wählen Gemeinschaften Projekte aus, die sie zusammen durchführen; solche Projekte sind derzeit besonders in vom Bürgerkrieg zerrütteten Regionen gefragt, wie Sierra Leone, Ruanda, Liberia und Indonesien.
Für die Praxis enorm wichtig sind dezentrale Strukturen und echte Bürgerbeteiligung. Wie kann eine Gemeinschaft am besten zu erkennen geben, was sie möchte, wenn man einmal davon ausgeht, dass verschiedene Menschen oft verschiedene Ansichten haben? Wie kann man sicherstellen, dass die Interessen von unterprivilegierten Gruppen (Frauen, ethnische Minderheiten, niedere Kasten, Landlose) vertreten werden?
Ob ein solcher Entscheidungsprozess fair verläuft und zu welchen Ergebnissen er kommt, hängt in einem derartigen Umfeld sehr von Details ab: Wie wird das Projekt ausgewählt (durch eine Versammlung? durch eine Abstimmung?), und wer wird zu den Treffen eingeladen? Wer spricht und wer sorgt dafür, dass das Projekt später auch umgesetzt wird? Wie werden die Projektleiter ausgewählt und vieles andere mehr? Wenn Minderheiten oder die Armen bei der Auswahl nicht berücksichtigt werden, haben sie unter Umständen nichts von der Dezentralisierung; auch die Übergabe der Macht an eine lokale Elite trägt vermutlich nicht zum Frieden in der Gemeinde bei. Ganz im Gegenteil könnten Gruppen, die merken, dass sie von ihren eigenen Nachbarn politisch ausgebootet werden, erst recht aggressiv reagieren.
Nehmen wir die Dorfversammlungen als Beispiel; sie sind ein wichtiges kommunalpolitisches Element. Hier trägt man Beschwerden vor, stimmt über Haushalte ab, Projekte werden vorgeschlagen, gebilligt oder abgelehnt. Manche von Ihnen denken beim Stichwort »Dorfversammlung« vielleicht an das alljährlich
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