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Poor Economics

Poor Economics

Titel: Poor Economics Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abhijit Banerjee , Esther Duflo
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Hinweise auf ein solches Verhalten. Erinnern Sie sich an die TAMTAM-Experimente von Jessica Cohen und Pascaline Dupas. Die beiden hatten festgestellt, dass die Moskitonetze häufiger angenommen wurden, wenn sie nichts oder nur sehr wenig kosteten. Aber wurden sie auch benutzt? Um das herauszufinden, schickte TAMTAM einige Wochen nach dem ersten Experiment Mitarbeiter zu den Leuten, die die Moskitonetze zu unterschiedlich stark subventionierten Preisen gekauft hatten. Es zeigte sich, dass zwischen 60 und 70 Prozent der Frauen, die ein Netz gekauft hatten, dieses auch benutzten. In einer anderen Studie stieg der Nutzungsgrad mit der Zeit auf 90 Prozent. Außerdem fanden die Forscher keinen Unterschied im Gebrauch gekaufter und geschenkter Netze. Ähnliche Ergebnisse lieferten Studien, die andere, vergleichbare
Szenarien untersuchten: Für den schlechten Nutzungsgrad sind offenbar doch nicht die Subventionen verantwortlich.
    Aber was dann?
    Liegt es am Glauben?
    Abhijit wuchs in einer Familie auf, die aus zwei weit voneinander entfernten Teilen Indiens stammt. Seine Mutter war aus Mumbai, und in ihrer Familie gehörte zu einem richtigen Essen immer ungesäuertes Brot ( chapati und bhakri ), das aus Weizen und Hirse gemacht wird. Sein Vater kam aus Bengalen, wo man praktisch zu jeder Mahlzeit Reis isst. In den beiden Regionen hatte man auch sehr unterschiedliche Vorstellungen, wie Fieber zu behandeln ist. Jede Mutter im Bundesstaat Maharashtra weiß, dass Reis eine schnelle Genesung fördert. In Bengalen dagegen ist Reis verboten: Wenn man dort ausdrücken will, dass sich jemand vom Fieber erholt hat, sagt man: »Er durfte heute wieder Reis essen«. Als der leicht verwirrte sechsjährige Abhijit seine bengalische Tante nach diesem offensichtlichen Widerspruch fragte, antwortete sie, das sei eine Sache des Glaubens.
    Wir alle setzen auf Glauben oder – um weniger religiös geprägte Begriffe zu verwenden – eine Kombination aus Annahmen und Theorien, wenn wir uns im Bereich von Gesundheit und Krankheit bewegen. Woher wissen wir, dass das verordnete Medikament die Entzündung lindern wird und es nicht ratsam wäre, stattdessen Blutegel zu setzen? Mit ziemlicher Sicherheit hat noch niemand eine randomisierte Studie gesehen, in der ein Teil der Patienten im Falle einer, sagen wir, Lungenentzündung mit Antibiotika behandelt wurde und ein anderer Teil Blutegel erhielt. Wir vertrauen auf die Art und Weise, wie Medikamente von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) oder einer vergleichbaren Behörde (in Deutschland das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, in Österreich die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, in der Schweiz das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic ) zugelassen werden, und das gibt uns Sicherheit. Wir glauben,
dass ein Antibiotikum nicht auf dem Markt wäre, wenn es nicht irgendein Zulassungsverfahren durchlaufen hätte, und wir vertrauen darauf – manchmal zu Unrecht, wenn man die finanziellen Anreize, medizinische Studien zu manipulieren, in Betracht zieht –, dass die Zulassungsbehörden die Studien auf ihre Zuverlässigkeit überprüfen und das Antibiotikum deshalb sicher und wirksam ist.
    Es geht hier nicht darum, unser Vertrauen in ärztliche Verordnungen in Frage zu stellen, sondern vielmehr klarzumachen, dass wir für viele Dinge, die wir glauben oder annehmen, keinen oder kaum einen direkten Beweis haben. Vieles beruht auf Vertrauen, doch wenn dieses Vertrauen aus irgendeinem Grund erschüttert wird, erleben wir unter Umständen heftigen Widerstand gegen Maßnahmen, die eigentlich allgemein als die besten gelten. Trotz der unablässigen Versicherungen seitens hochkarätig besetzter Expertengremien, dass Impfstoffe sicher sind, gibt es in Großbritannien und in den USA nicht wenige Leute, die sich weigern, ihre Kinder gegen Masern impfen zu lassen, weil einmal ein Zusammenhang mit Autismus vermutet wurde. In den USA nimmt die Zahl der Masernfälle zu, während sie andernorts weniger werden. 32 Halten Sie sich die Lebensumstände eines Durchschnittsbürgers in einem armen Land vor Augen. Wenn es schon die Menschen im Westen schwierig finden, ihre Entscheidungen auf Grundlage handfester Beweise zu fällen, obwohl ihnen die Erkenntnisse der besten Wissenschaftler zur Verfügung stehen, wie schwer muss es dann erst für Arme sein, die viel weniger Zugang zu Information haben? Die Menschen treffen ihre Entscheidungen auf Grundlage

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