Poor Economics
starke Beweggründe für ihr Verhalten haben. Wenn sie beispielsweise glauben, dass sie ihren Kindern schaden, wenn sie sie nach draußen mitnehmen, dann sollten zwei Pfund Dal (im Wert von 40 Rupien oder 1,83 PPP-USD) nicht genug sein, um sie umzustimmen. Zum Glück kannten wir die Leute von Seva Mandir lange genug und konnten sie davon überzeugen, die Idee im kleinen Maßstab zu testen. Sie richteten 30 Camps ein, die mit Anreizen arbeiteten – und das Ganze wurde ein Riesenerfolg. Die Impfrate schnellte in den Dörfern mit den Camps fast auf das Siebenfache hoch (38 Prozent). Aber sie stieg auch in den Nachbardörfern im Umkreis von 10 Kilometern an. Bei Seva Mandir stellte man fest, dass durch das Verschenken des Dal paradoxerweise die Kosten pro Impfung sanken, weil nämlich die Effizienz gesteigert wurde: Die Krankenschwester, die für die Anwesenheitszeit bezahlt wurde, war wesentlich stärker ausgelastet. 35
Die Impfkampagne von Seva Mandir ist das beeindruckendste Programm, das wir bislang evaluiert haben, und vermutlich auch das, das am meisten Leben rettete. Wir setzen uns daher, zusammen mit Seva Mandir und anderen Organisationen, dafür ein, dieses Experiment in anderen Zusammenhängen zu wiederholen. Dabei stoßen wir interessanterweise auch auf Widerstand. Ärzte weisen darauf hin, dass 38 Prozent noch weit von den 80 bis 90 Prozent entfernt sind, die für die sogenannte Herdenimmunität gebraucht werden, durch die dann die ganze Gemeinschaft geschützt ist. Die WHO strebt auf nationaler Ebene eine Rate von 90 Prozent für die Grundimmunisierung an und 80 Prozent für jede Untereinheit. Es gibt Mediziner, die meinen, wenn nicht der vollständige Schutz der Gemeinschaft erreicht werden könne, gebe es keinen Grund, einzelne Haushalte bei dem zu unterstützen, was sie ohnehin für sich tun sollten. Natürlich wäre es toll, eine vollständige Durchimpfung zu erreichen, doch trotzdem ist dieses »Alles-oder-nichts«-Argument nur oberflächlich vernünftig.
Denn selbst wenn die Impfung, die ich meinem Kind angedeihen lasse, nicht dazu beiträgt, die Krankheit auszurotten, so schützt sie doch nicht nur mein Kind, sondern auch die anderen, die mit ihm in Kontakt stehen. 36 Verglichen mit den anfänglichen 6 Prozent bringen die 38 Prozent Grundimmunisierungsrate doch schon einen gewaltigen gesellschaftlichen Nutzen.
Am Ende stellt sich das Misstrauen gegen Belohnungen als Glaubensbekenntnis heraus, sowohl bei den Rechten wie auch bei den Linken im politischen Spektrum: Versuche nicht, die Leute zu etwas zu zwingen, von dem du glaubst, sie sollten es tun. In den Augen der Rechten ist es Verschwendung, und für die meisten klassischen Linken, zu denen viele aus dem Gesundheitswesen und auch der Arzt von Seva Mandir gehören, wird damit sowohl das, was angeboten wird, als auch die Person, die es bekommt, herabgewürdigt. Statt so etwas zu tun, sollten wir uns besser darauf konzentrieren, die Armen von den Vorzügen der Impfung zu überzeugen.
Unserer Meinung nach gehen beide Auffassungen an der Wirklichkeit vorbei, und zwar aus zwei Gründen. Erstens lehrt uns das Zwei-Pfund-Dal-Experiment, dass – zumindest in Udaipur – die Armen vielleicht an alles Mögliche glauben, dass dahinter aber relativ wenig Überzeugung steckt. Die Angst vor dem bösen Blick ist nicht so groß, dass sie dafür auf die Hülsenfrüchte verzichten würden. Daraus kann man schließen, dass sie nicht in der Lage sind, Kosten und Nutzen von Impfungen richtig einzuschätzen. In Fällen, in denen sie wirklich wissen, was sie wollen – zum Beispiel ihre Tochter an jemanden aus der richtigen Kaste oder mit der richtigen Religionszugehörigkeit verheiraten –, sind sie ganz und gar nicht leicht zu bestechen. Das heißt, die Armen haben sehr wohl feste Überzeugungen, aber man sollte nicht den Fehler machen zu glauben, dass das für alle gilt.
Das ist noch aus einem zweiten Grund falsch. Sowohl die Rechten als auch die Linken nehmen offenbar an, dass eine Absicht notwendigerweise eine Handlung nach sich zieht: Wenn die Menschen vom Wert der Impfung überzeugt wären, würden sie
ihre Kinder impfen lassen. Aber auch das stimmt nicht immer, und es hat weitreichende Folgen.
Gute Vorsätze
Ein deutliches Zeichen, dass der Widerstand gegen das Impfen nicht sehr tief verankert sein kann, ist die Tatsache, dass in den Dörfern, in denen die Camps kein Dal anboten, 77 Prozent der Kinder die erste Teilimpfung erhielten: Auch ohne
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