Poor Economics
hohe Abwesenheitsrate und die schlechte Motivation unter den staatlichen Gesundheitshelfern sind sicher zwei Gründe, warum nicht mehr Prävention stattfindet.
Die staatlichen Gesundheitszentren sind oft geschlossen, obwohl sie geöffnet haben sollten. In Indien zum Beispiel sollten die Gesundheitsstationen in den Ortschaften an sechs Tagen pro Woche und sechs Stunden pro Tag geöffnet haben. Wir haben in Udaipur ein Jahr lang mehr als hundert solcher Einrichtungen einmal pro Woche zu einer zufälligen Zeit während der offiziellen Öffnungszeiten aufgesucht: Sie waren 56 Prozent der Zeit geschlossen, und nur in 12 Prozent der Fälle war die Krankenschwester gerade außerhalb der Station unterwegs. Den Rest der Zeit war sie einfach nicht da. Die Abwesenheitsraten sind andernorts ganz ähnlich. In den Jahren 2002 und 2003 führte die Weltbank in Bangladesch, Ecuador, Indien, Indonesien, Peru und Uganda eine »Abwesenheitsstudie« ( World Absenteeism Survey ) durch. Dabei wurde festgestellt, dass die durchschnittliche Abwesenheitsrate der Mitarbeiter der Gesundheitszentren (Ärzte und Schwestern) bei 35 Prozent lag; in Indien waren es 43 Prozent. 28 Wie wir in Udaipur gesehen haben, weiß man auch nie, wann man denn nun jemanden dort antrifft, das heißt die Armen können sich nicht auf diese Einrichtungen verlassen. Bei einer privaten Praxis kann man sicher sein, dass der Doktor auch da ist. Wenn er nicht da ist, bekommt er nämlich – im Gegensatz zu den abwesenden Gesundheitshelfern im Staatsdienst – kein Geld.
Dazu kommt, dass die staatlichen Ärzte und Krankenschwestern, wenn sie denn einmal da sind, ihre Patienten nicht besonders gut behandeln. Ein Mitglied aus dem Team von Jishnu Das und Jeff Hammer, den Forschern, die mit hypothetischen Patientenszenarien die Doktoren getestet hatten, setzte sich einen Tag lang neben jeden dieser Anbieter von Gesundheitsleistungen. Für jeden Patienten notierte er, wie viele Fragen der Doktor zur Krankengeschichte stellte, welche Untersuchungen er durchführte, welche Medikamente er verschrieb oder abgab und (bei den privaten Anbietern) welche Preise er verlangte. Das Bild der Gesundheitsversorgung in Indien, das diese Studie vermittelt, ist erschreckend – sowohl im staatlichen wie im privaten Bereich. Das und Hammer fassen ihre Ergebnisse als »3-3-3-Regel« zusammen: Drei Minuten beschäftigt sich der Doktor mit dem Patienten, er stellt ihm drei Fragen und er gibt ihm drei Medikamente (häufig werden die Medikamente direkt abgegeben und nicht als Rezept verordnet). Überweisungen sind selten (in weniger als 7 Prozent der Fälle), nur etwa die Hälfte der Patienten erhält Verhaltenshinweise und nur ein Drittel der Doktoren sagt etwas zur Nachbehandlung. Als wäre das nicht alles schon schlimm genug, zeigte sich, dass die Situation in den staatlichen Einrichtungen noch schlechter ist als in den privaten. Ärzte im Staatsdienst verbrachten im Schnitt zwei Minuten mit jedem Patienten. Sie stellten weniger Fragen und unterzogen die Patienten so gut wie nie einer körperlichen Untersuchung. Meistens fragten sie ihn nach seiner persönlichen Einschätzung und behandelten dann seine Selbstdiagnose. Ähnliche Ergebnisse wurden auch in mehreren anderen Ländern gefunden. 29
Das heißt, die Antwort auf unsere Frage ist vielleicht ganz einfach: Die Menschen nutzen das öffentliche Gesundheitssystem nicht, weil es nicht gut funktioniert. Das würde auch erklären, warum andere staatliche Angebote, wie Impfungen oder die Untersuchung und Beratung von Schwangeren, kaum wahrgenommen werden.
Aber das kann nicht alles sein. Moskitonetze beispielsweise
werden nicht nur von der Regierung verteilt, dasselbe gilt für Wasserdesinfektionsmittel. Und selbst wenn die staatlichen Krankenschwestern zur Arbeit kommen, wird die Zahl der Patienten, die ihre Dienste in Anspruch nehmen wollen, nicht größer. Sechs Monate brauchten Seva Mandir, eine örtliche Nichtregierungsorganisation, und die Bezirksverwaltung, um in gemeinschaftlicher Anstrengung die Abwesenheitszeiten deutlich zu reduzieren – die Wahrscheinlichkeit, jemanden im Gesundheitszentrum anzutreffen, stieg von 40 auf über 60 Prozent. Doch auf die Zahl der Besucher der Einrichtung hatte das keine Auswirkung. 30
Im Zuge einer anderen Initiative organisierte Seva Mandir monatliche Impfcamps in denselben Dörfern, weil die Impfraten in der Region so abgrundtief niedrig waren: Bevor sich die Nichtregierungsorganisation engagierte,
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