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Poor Economics

Poor Economics

Titel: Poor Economics Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abhijit Banerjee , Esther Duflo
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dessen, was ihnen plausibel erscheint. Wenn wir davon ausgehen, dass die meisten von ihnen keinen Biologieunterricht hatten und dass sie wenig Grund haben, der Kompetenz und der Professionalität des medizinischen Personals zu trauen, dann können ihre Entscheidungen nur mehr oder weniger willkürlich ausfallen.
    Beispielsweise scheinen die Armen in vielen Ländern anzunehmen, dass ein Medikament direkt ins Blut gegeben werden
muss – deshalb wollen sie Spritzen haben. Um diese (durchaus plausible) Theorie zu widerlegen, muss man wissen, wie der Körper Nährstoffe aus dem Verdauungstrakt aufnimmt, und dass es notwendig ist, die Spritzen nach der Verwendung mit hohen Temperaturen keimfrei zu machen. Mit anderen Worten: Man braucht ein gewisses biologisches Grundwissen.
    Erschwerend kommt hinzu, dass Gesundheitslernen grundsätzlich schwierig ist, nicht nur für Arme, sondern für jedermann. 33 Wenn Patienten fest davon überzeugt sind, dass ihnen nur mit einer Spritze zu helfen ist, kann man ihnen kaum noch vermitteln, dass sie sich irren. Und weil die meisten Krankheitssymptome, die jemanden zum Arztbesuch veranlassen, irgendwann von selbst verschwinden, ist die Wahrscheinlichkeit nicht allzu gering, dass sich der Patient nach einer Antibiotikainjektion tatsächlich besser fühlt. Auf diese Weise werden natürlich falsche Ursache-Wirkungs-Beziehungen hergestellt: Selbst wenn das Antibiotikum die Beschwerden nicht behoben hat, wird ihm doch die Besserung zugeschrieben. Umgekehrt würde niemand Untätigkeit für die Ursache von etwas halten. Wenn jemand mit einer Erkältung zum Arzt geht, der Arzt nichts tut, und sich der Patient dann besser fühlt, wird der Patient daraus den richtigen Schluss ziehen, dass der Arzt mit der Heilung seiner Krankheit nichts zu tun hatte. Doch statt dem Arzt für seine Zurückhaltung dankbar zu sein, könnte der Patient auf die Idee kommen, dass er dieses Mal wohl Glück hatte, sich für die nächste Krankheit aber besser einen anderen Arzt suchen sollte. So entsteht in einem privaten, unregulierten Markt fast zwangsläufig ein Trend zur Übermedikation, der noch dadurch verstärkt wird, dass es häufig dieselbe Person ist, die Arzneien verordnet und ausgibt: Das kann ein Apotheker sein, der um medizinischen Rat gefragt wird, oder ein Arzt mit einer Privatpraxis, der selbst Medikamente bevorratet und verkauft.
    Noch schwieriger ist es, aus Erfahrung etwas über das Impfen zu lernen, da damit kein existierendes Problem gelöst wird, sondern ein Schutz vor einer möglichen späteren Infektion aufgebaut
wird. Wenn ein Kind gegen Masern geimpft ist, bekommt es keine Masern. Aber nicht alle ungeimpften Kinder erkranken auch an Masern (erst recht nicht, wenn die anderen Kinder als Infektionsquellen ausfallen, weil sie geimpft sind), deshalb ist es schwer, zwischen der Impfung und dem Ausbleiben der Erkrankung eine eindeutige Beziehung herzustellen. Außerdem schützen Impfungen nur vor ein paar Erkrankungen, und es gibt noch so viele andere. Eltern mit geringer Bildung verstehen oft nicht, wovor ihr Kind eigentlich geschützt werden soll. Wenn das Kind krank wird, obwohl es eine Impfung erhalten hatte, fühlen sich die Eltern betrogen und beschließen unter Umständen, so etwas nicht noch einmal zu machen. Möglicherweise verstehen sie auch nicht, dass mehrere Teilimpfungen nötig sind, um eine Grundimmunisierung zu erreichen, und haben nach zwei oder drei Teilimpfungen das Gefühl, sie hätten ihre Pflicht getan. Allzu leicht macht man sich falsche Vorstellungen darüber, was bei Gesundheit und Krankheit hilft und was nicht.
    Warum Hoffnung so wichtig ist
    Möglicherweise gibt es noch einen anderen Grund, warum sich die Armen an eigentlich unhaltbare Vorstellungen klammern: Wenn sie sonst nichts tun können, bekommt die Hoffnung zentrale Bedeutung. Einer der bengali doctors, mit dem wir sprachen, erklärte die Rolle, die er im Leben der Armen spielt, so: »Die Armen können es sich nicht leisten, schwerwiegendere Sachen behandeln zu lassen, weil dafür teure Tests und Krankenhausaufenthalte nötig wären. Deshalb kommen sie mit kleineren Beschwerden zu mir, und ich gebe ihnen etwas Medizin, so dass sie sich besser fühlen.« Mit anderen Worten, die Leute wollen etwas für ihre Gesundheit tun, auch wenn sie wissen, dass das echte Problem damit nicht behoben ist.
    Tatsächlich gehen die Armen viel seltener mit potenziell lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Schmerzen in der Brust oder Blut im

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