Poor Economics
Zeitpunkt an 2,5 andere Familien Geld verliehen oder von diesen geliehen hatte. Außerdem wurden die Rückzahlungsbedingungen an die jeweilige Situation von Leihendem und Verleiher angepasst. Wenn dem Schuldner etwas Schlimmes widerfahren war, zahlte er weniger zurück (oft weniger als die ursprünglich geliehene Summe), saß jedoch der ursprüngliche Geldgeber in der Patsche, zahlte der Schuldner nicht selten mehr zurück, als er musste. Das eng verzahnte gegenseitige Geben und Nehmen minderte das Risiko für den Einzelnen beträchtlich. Dennoch hatte auch diese informelle Solidarität ihre Grenzen. Nach einem Schicksalsschlag ging der Konsum in den betroffenen Familien selbst dann zurück, wenn sich das Gesamteinkommen ihres Netzwerks nicht verändert hatte.
Zu diesen informellen Absicherungen liegt eine Fülle von Forschungsergebnissen vor, und von der Elfenbeinküste bis nach Thailand beobachtet man immer wieder dasselbe: Die traditionellen Solidaritätsnetzwerke helfen zwar, Schicksalsschläge abzufangen, doch die Absicherung, die sie bieten, ist alles andere als vollkommen. Im Falle einer guten Absicherung sollte eine Familie, in Abhängigkeit von ihren jeweiligen finanziellen Möglichkeiten, stets in etwa gleich viel konsumieren können: In guten
Zeiten hilft sie anderen, und in schlechten Zeiten erhält sie selbst Hilfe von anderen. Das deckt sich jedoch nicht mit unseren Beobachtungen.
Vor allem gegen schwere Erkrankungen sind die Armen extrem schlecht abgesichert. In einem indonesischen Haushalt sinkt der Konsum um 20 Prozent, wenn ein Familienmitglied ernstlich krank wird. 15 Eine philippinische Studie belegt, dass die Dorfsolidarität bei schweren, aber nicht tödlichen Erkrankungen besonders schlecht funktioniert. 16 Wenn eine Familie eine schlechte Ernte hat oder wenn jemand den Job verliert, kommen ihnen die anderen Familien des Dorfes zu Hilfe. Die Betroffenen erhalten Geschenke, zinslose Darlehen und andere Formen der Unterstützung. Doch das gilt nicht bei schweren Erkrankungen, damit wird die Familie allein gelassen.
Die fehlende Unterstützung im Krankheitsfall erstaunt umso mehr, als sich die Familien ansonsten ja gegenseitig helfen. In einem der vorangegangenen Kapitel haben wir von Ibu Emptat erzählt, deren Mann Probleme mit den Augen hatte. Sie musste ihr Kind von der Schule nehmen, weil sie seine Asthmamedikamente nicht bezahlen konnte. Als wir Ibu Emptat in ihrem kleinen Dorf auf Java trafen, berichtete sie, dass sie von ihrem örtlichen Geldverleiher 100 000 Rupien (18,75 PPP-USD) aufgenommen hatte, um die Behandlung für ihren Mann zu bezahlen. Inzwischen waren ihre Schulden wegen der Zinsen auf eine Million Rupien angewachsen, und sie lebte in großer Angst, weil der Geldverleiher gedroht hatte, ihnen alles wegzunehmen, was sie besaßen. Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass ihr eine ihrer Töchter gerade einen Fernsehapparat geschenkt hatte. Die Tochter hatte sich für 800 000 Rupien (150 PPP-USD) einen neuen gekauft und den alten (der noch gut funktionierte) ihren Eltern gegeben. Wir waren verblüfft: Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die Tochter hätte das alte Gerät behalten und ihren Eltern stattdessen das Geld geben, das diese dem Geldverleiher schuldeten? Wir fragten: »Kann dir nicht eines deiner Kinder beim Bezahlen der Schulden helfen?« Ibu Emptat schüttelte den Kopf und
erwiderte, die hätten ihre eigenen Probleme, Familie, um die sie sich kümmern müssten – unausgesprochen war sie der Auffassung, dass sie die Art des Geschenkes nicht hinterfragen durfte. Anscheinend war es für sie normal, dass ihr bei Gesundheitsausgaben niemand Hilfe anbot.
Was hält die Menschen davon ab, anderen noch mehr zu helfen? Warum sind manche Risiken nicht oder nur unzureichend abgedeckt?
Für die mangelnde Bereitschaft, Nachbarn und Freunden bedingungslos Hilfe anzubieten, gibt es gute Gründe. Sie könnten ja, wenn sie sich der Unterstützung sicher sind, in Versuchung kommen, sich weniger anzustrengen – in der Versicherungswirtschaft nennt man das ein moralisches oder subjektives Risiko. Oder jemand könnte vorgeben, Hilfe zu brauchen, obwohl das nicht stimmt. Oder man befürchtet, dass der andere seinen Teil der informellen Vereinbarung nicht einhält: Ich helfe dir, aber wenn ich deine Hilfe brauche, hast du keine Zeit.
All das sind Gründe, weshalb man mit seinem Hilfsangebot zurückhaltend sein könnte, aber sie erklären nicht, weshalb jemand, der schwer
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