Poor Economics
zur eindeutigen Identifizierung vorstellte. Er versicherte seinen Zuhörern, dass die Abdrücke der zehn Finger und ein Foto der Iris beider Augen charakteristisch genug seien, um jeden Menschen eindeutig zu identifizieren. Nachiket Mor hörte aufmerksam zu. Als Nilekani einen Moment innehielt, sagte er laut: »Ein Jammer, dass Kühe keine Finger haben.«
Doch es gibt Risikoarten, die leichter zu versichern sein sollten
als andere. Das Wetter zum Beispiel. Einem Bauern sollte an einer Versicherung gelegen sein, die ihm (in Abhängigkeit von der Prämie) eine fixe Summe zahlt, wenn die Niederschläge, die an einer nahe gelegenen Wetterstation gemessen werden, unter einem festgesetzten kritischen Niveau bleiben. Da niemand das Wetter beeinflussen kann und anders als in der Medizin auch keine Entscheidungen getroffen werden müssen, welche Maßnahmen notwendig sind oder nicht, bleibt kein Spielraum für ein moralisches Risiko oder Betrug.
Im Bereich des Gesundheitswesens scheinen katastrophale Ereignisse (wie schwere Erkrankungen oder Unfälle) leichter zu versichern zu sein als die ambulante Versorgung. Niemand verlangt aus Jux und Tollerei nach einer Operation oder einer Chemotherapie, und die Behandlung lässt sich leicht nachweisen. Dennoch besteht weiter die Gefahr der Überbehandlung, aber die Versicherer können die Kosten für jede Behandlung deckeln. Das große Problem bleibt nach wie vor die Selektion: Versicherungen wollen nicht nur kranke Leute versichern.
Wie kann man die negative Selektion verhindern? Der Trick besteht darin, mit einem Pool von Leuten zu beginnen, der aus ganz anderen Gründen zustande gekommen ist – Angestellte einer Firma, Mikrokreditnehmer, Parteimitglieder … –, und zu versuchen, diese Gruppe als Ganzes zu versichern.
Aus diesem Grund dachten Anbieter von Mikrofinanzdienstleistungen ( microfinance institutions, MFI) darüber nach, Krankenversicherungen in ihr Angebot aufzunehmen. Sie verfügen über einen großen Pool von Kreditnehmern, denen man Versicherungen anbieten könnte. Und weil größere Gesundheitsprobleme manchmal dazu führen, dass die ansonsten ziemlich zuverlässigen Mikrokreditkunden in Verzug kommen, wäre eine Krankenversicherung für sie gleichzeitig auch eine gewisse Absicherung für den Mikrofinanzdienstleister. Außerdem wäre es einfach, die Prämien zu kassieren, da sich die Sachbearbeiter sowieso wöchentlich mit den Schuldnern treffen – eigentlich mussten sie die Prämie nur in den Kredit einrechnen.
Im Jahr 2007 startete SKS Microfinance, das größte Mikrofinanzunternehmen in Indien, ein Pilotprojekt zur Krankenversicherung; es trug den Namen »Swayam Shakti« und beinhaltete Mutterschaftsgeld sowie die Kostenübernahme für Krankenhausaufenthalte und die Behandlung von Unfällen. Um negative Selektion zu vermeiden, war die Versicherung für die ausgewählten Gruppen obligatorisch. Außerdem deckelte man die Kosten und legte den Kunden dringend nahe, sich nur in solchen Krankenhäusern behandeln zu lassen, mit denen SKS langfristige Kooperationen vereinbart hatte; beide Maßnahmen sollten die Betrugsmöglichkeiten einschränken. Um den Kunden die Vereinbarung noch schmackhafter zu machen, konnten sie die Krankenhäuser »bargeldlos« nutzen: Sofern ihre Erkrankung durch die Versicherung abgedeckt war, brauchten sie nichts zu bezahlen, das regelte SKS direkt mit den Krankenhäusern.
Als SKS das Produkt einführte, wollte man die Versicherung für die Mikrokreditnehmer obligatorisch machen. Aber die Kunden sträubten sich, und so beschloss man, die Versicherungspflicht erst zu verlangen, wenn der Kredit zum ersten Mal verlängert wurde. Das führte dazu, dass manche Schuldner ihre Kredite nicht verlängerten und SKS überall dort Kunden verlor, wo man die Versicherung anbot. Nach wenigen Monaten verlängerten nur noch 50 statt vorher 60 Prozent der Mikrokreditnehmer ihre Kredite bei SKS. Die Geschäftsführerin eines Konkurrenzunternehmens fragte uns nach unserer Arbeit mit SKS, und als wir erklärten, wir wollten herausfinden, welchen Einfluss die Forderung nach einer Versicherungspflicht auf die Mikrokreditnehmer habe, lachte sie und sagte: »Das kann ich Ihnen sagen! Überall, wo SKS die Versicherung zur Bedingung macht, haben wir eine Menge neuer Kunden. Die Leute gehen von SKS weg und kommen zu uns!« Etwa ein Viertel der Kunden, die zwar weiter bei SKS Geld leihen, aber keine Versicherung abschließen wollten, fand ein Hintertürchen:
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