Poor Economics
sind bereits in ihre Fußstapfen getreten: Im Juli 2010 ging SKS Microfinance, das größte indische
Mikrofinanzinstitut, an die Börse und sammelte 354 Millionen US-Dollar ein.)
Man kann verstehen, dass Yunus der Anschein von Wucher nicht gefiel, aber in gewissem (positivem) Sinn ist die Mikrokreditvergabe nichts anderes als der klassische Geldverleih im neuen, sozialen Gewand. Wie die traditionellen Geldverleiher behalten die Mikrofinanzinstitute (MFI) ihren Kunden gut im Auge, nur beziehen sie andere Schuldner, die ihn kennen, in die Kontrolle ein. Ein typischer MFI-Vertrag beinhaltet Darlehen für eine Gruppe von Schuldnern, die gegenseitig für ihre Kredite haften und deshalb ein Interesse daran haben, dass die anderen zahlen. Manche Organisationen verlangen, dass die Kunden schon miteinander bekannt sind, wenn sie einen Kredit aufnehmen wollen, andere bringen sie zusammen, indem sie wöchentliche Treffen vereinbaren. Diese Treffen dienen dazu, dass sich die Kunden untereinander kennenlernen und sich bereitwilliger gegenseitig unterstützen, wenn einmal jemand in eine vorübergehende Notlage gerät. 8
Wie die Geldverleiher drohen auch die Mikrofinanzinstitute damit, jemandem, der überhaupt nicht zahlt, nie wieder einen Kredit zu gewähren, und sie zögern nicht, ihre Beziehungen im sozialen Netz eines Dorfes spielen zu lassen, um einen widerspenstigen Kunden unter Druck zu setzen. Doch im Gegensatz zu den Geldverleihern gehört das Androhen physischer Gewalt nicht zu ihren offiziellen Strategien. 9 Oft scheint die Scham aber bereits zu genügen. Eine Schuldnerin, die wir in Hyderabad trafen, hatte Probleme, ihre bei verschiedenen MFIs aufgenommenen Kredite abzuzahlen. Aber sie sagte, sie habe noch nie eine Zahlung versäumt, selbst wenn sie sich dafür Geld bei ihren Kindern leihen musste oder einen Tag lang nichts aß: Ihr graute vor der Vorstellung, der Kreditbeauftragte der Bank könnte vor ihrer Tür stehen und vor den Augen der gesamten Nachbarschaft »Krach schlagen«.
In einem Punkt unterscheiden sich Mikrofinanzinstitute ganz klar von den traditionellen Geldverleihern: Sie arbeiten ohne deren
Flexibilität. Geldverleiher lassen die Schuldner wählen, wie sie borgen und zurückzahlen – einige zahlen einmal pro Woche etwas zurück, andere wann immer sie Geld übrig haben, und manche zahlen nur die Zinsen, bis sie die Hauptschuld auf einmal zurückzahlen können. Bei einem Mikrofinanzinstitut muss ein Kunde dagegen typischerweise jede Woche einen festen Betrag zurückzahlen, beginnend eine Woche nach Auszahlung des Kredits, und diejenigen, die zum ersten Mal einen Kredit aufnehmen, erhalten in der Regel auch alle denselben Betrag. Außerdem muss der Schuldner seine Zahlung während des wöchentlichen Treffens leisten, das für jede Gruppe immer zur selben Zeit stattfindet. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass man die Zahlungen sehr leicht kontrollieren kann. Der Kreditbeauftragte muss nur nachzählen, ob er die von dieser Gruppe zu erwartende Summe erhalten hat, was meistens der Fall ist, dann ist er fertig und kann mit der nächsten Gruppe weitermachen. Auf diese Weise kann ein Kreditbeauftragter die Zahlungen von 100 bis 200 Kunden pro Tag einziehen, während ein Geldverleiher den ganzen Tag wartet und nicht weiß, wann das Geld hereinkommt. Weil die Geldtransaktionen so einfach sind, brauchen die MFIs für diese Tätigkeit keine Leute mit höherer Schulbildung, was die Kosten niedrig hält. Darüber hinaus werden die Kreditbeauftragten nach einem Prämiensystem entlohnt, das sich daran orientiert, wie viele neue Kunden jemand angeworben hat und ob alle Schuldner zahlen.
Dank all dieser Neuerungen konnten die Verwaltungskosten für die Kreditvergabe gesenkt werden, die – wie wir oben gesehen haben – sonst durch den Multiplikatoreffekt aufgebläht werden und das Geldleihen für Arme so wahnsinnig teuer machen. So gelingt es den meisten Mikrofinanzinstituten in Südasien, den Armen Kredite für einen Jahreszins von circa 25 Prozent zu gewähren (und damit Geld zu verdienen), während die örtlichen Geldverleiher üblicherweise zwei- bis viermal so viel verlangen. In anderen Teilen der Welt sind die Zinssätze höher (was möglicherweise daran liegt, dass die Gehälter der Kreditbeauftragten höher sind), manchmal höher als 100 Prozent pro Jahr, doch sie
liegen immer noch unter den anderen Alternativen, die den Armen dort zur Verfügung stehen. In brasilianischen Städten beispielsweise
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