Poor Economics
Textilunternehmer aus ganz Indien anzieht. Aber es gibt auch eine Menge einheimischer Fabrikanten, Sprösslinge wohlhabender Landbesitzer aus der Gounder-Kaste. Die Zugezogenen sind, wenig verwunderlich, die Experten in dieser Branche, und ihre Firmen arbeiten wesentlich wirtschaftlicher als die der Gounder: Auf jedem Kapitalniveau produzieren und exportieren sie mehr. Überraschend dagegen ist, dass Gounder in der Regel mit dreimal mehr Kapital beginnen als Auswärtige. 18 Anstatt den Leuten von außerhalb, den Fachleuten auf diesem Geschäftsfeld, Geld zu leihen, gründeten die Gounder selbst entsprechende Firmen, obwohl sie damit keine Erfahrung hatten. Warum taten sie das? Oder warum sprangen Banken nicht ein, um den Zugezogenen zu helfen, größere Firmen zu gründen? Die Antwort lautet, dass selbst größere Firmen (Firmen, die sich im Besitz von Auswärtigen befinden, verfügen über ein durchschnittliches Grundkapital von 2,9 Millionen Rupien oder 347 000 PPP-USD) mit den Problemen zu kämpfen haben, die wir oben geschildert haben. Die Gounder gründeten ihre eigenen Unternehmen, weil sie ihrer Gemeinschaft vertrauten, aber nicht wussten, ob sie von Fremden ihr Geld zurückbekommen würden.
In den Entwicklungsländern hat man dieses Problem erkannt und versucht, die Banken mit Vorschriften dazu zu bringen, Darlehen an diese etwas größeren Unternehmen zu vergeben. Diese Regelung für »bevorzugte Branchen«, die wir weiter oben bereits erwähnt haben, bezieht sich auf kleine und mittlere Unternehmen, die zum Teil schon ziemlich groß sein können (die größten Unternehmen, die noch unter diese Bestimmung fallen, sind größer als 95 Prozent aller indischen Firmen). Dank einer Neuregelung 1998 konnten auch etwas größere Unternehmen davon profitieren, sie investierten die neuen Darlehen und verdienten eine Menge Geld. Eine Erhöhung der Kredite um 10 Prozent führte zu einer Gewinnsteigerung von 9 Prozent, nach der Rückzahlung des Kredits. 19 Das ist eine phantastische Rendite.
Leider geht der Trend heute nichtsdestoweniger dahin, diese Form der Verleihpflicht wieder zurückzunehmen, zum Teil weil sich die Banken beklagen, die Kreditvergabe an diese Firmen sei zu teuer und zu riskant.
Aber es gibt ein paar Leute, die versuchen, neue Geschäftsideen aufzuspüren und zu fördern. Miao Lei, der chinesische Geschäftsmann, tut genau das, vermutlich aufgrund seiner eigenen Erfahrungen: Er kauft Anteile von vielversprechenden jungen Unternehmen. Doch von einer Mikrofinanzrevolution für kleine und mittlere Firmen sind wir noch weit entfernt; bislang hat noch niemand herausgefunden, wie sich so etwas im großen Maßstab rentabel gestalten ließe. Verbesserungen kann es geben, wenn sich das geschäftliche Umfeld verändert, zum Beispiel die Arbeit der Gerichte. Als man in Indien beschleunigte Gerichtsverfahren einführte, wurden in der Folge Schulden viel schneller eingetrieben, die Kreditsummen stiegen und die Zinsen sanken. Dennoch ist auch das kein Wundermittel. Nach der Einführung spezieller Gerichte zur Eintreibung von Schulden, nahm die Kreditvergabe an die größten Firmen zu, während die für kleine sogar zurückging. 20 Grund dafür ist vermutlich, dass die Bankangestellten es lohnender finden, Darlehen an die größten Firmen zu vergeben, nun da die Bank sicher sein konnte, dass sie im Zweifelsfall Zugriff auf die Sicherheiten erhält.
Schließlich liegen die Probleme auch in den Bankstrukturen begründet. Da es sich – notwendigerweise – um große Organisationen handelt, ist es schwierig für Banken, ihre Angestellten zu motivieren, Firmen genau unter die Lupe zu nehmen, Projekte zu begutachten und lohnende Investitionen zu tätigen. Wenn Kreditbeauftrage beispielsweise für Ausfälle bestraft werden (was bis zu einem bestimmten Grad sinnvoll ist), dann fangen diese an, nach bombensicheren Projekten zu suchen, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht von kleinen, unbekannten Unternehmen vorgeschlagen werden. Ein Miao Lei oder ein Narayan Murthy würde so keine Finanzierung bekommen.
Trotz aller Schwierigkeiten hat die Mikrokreditbewegung gezeigt, dass es möglich ist, Geld an arme Menschen zu verleihen. Darüber, ob die MFI-Kredite das Leben der Armen verändern, kann man zwar durchaus diskutieren, doch ist es schon als beachtlicher Erfolg zu werten, dass das Mikrokreditwesen derartige Ausmaße angenommen hat. Es gibt nicht viele andere Programme für Arme, die es geschafft haben, so
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