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Poor Economics

Poor Economics

Titel: Poor Economics Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abhijit Banerjee , Esther Duflo
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hat. Die MFI-Regeln dagegen dulden kein Versagen.
    Haben die Mikrofinanzinstitute recht, wenn sie auf »null Ausfall« beharren? Oder würden sie vielleicht besser fahren, sowohl in sozialer als auch in finanzieller Hinsicht, wenn sie die strengen Rückzahlungsregeln etwas lockern würden? Die meisten MFI-Chefs sind davon überzeugt, dass dies nicht funktionieren würde und eine Aufweichung der Bedingungen katastrophale Folgen hätte. Vermutlich haben sie recht. Schließlich arbeiten sie immer noch in einem Umfeld, in dem es schwierig ist, Regressansprüche durchzusetzen, wenn ein Schuldner nicht zahlt. Das heißt, genau
wie Banken müssen sie sich auf die langsam mahlenden und knirschenden Mühlen der Justiz verlassen. In vielerlei Hinsicht beruht der Erfolg der Mikrofinanzinstitute auf einem unausgesprochenen sozialen Pakt, in dem die Gemeinschaft die Rückzahlung der Schulden garantiert und die MFIs weiter Kredite anbieten. Auf diese Weise wurde allmählich Vertrauen aufgebaut, was auch ein Grund dafür sein könnte, weshalb viele Mikrofinanzinstitute nach und nach von der Bedingung gemeinschaftlicher Haftung Abstand genommen haben. Und tatsächlich belegt eine Studie, dass es keinen Unterschied zwischen der Zahlungsdisziplin von Kunden mit oder ohne vertraglich vereinbarte Gemeinschaftshaftung gibt, solange sie sich regelmäßig treffen. Wenn die Treffen allerdings nicht wöchentlich, sondern monatlich stattfinden, so hat eine andere Studie herausgefunden, entwickeln sich die sozialen Beziehungen innerhalb der Gruppe nicht so schnell und die Ausfallraten steigen langsam an. 16
    Doch ein soziales Gleichgewicht, das auf der Kombination von gemeinsamer Verantwortung und andauernden Beziehungen beruht, ist notwendigerweise empfindlich. Wenn die zwei Gründe, warum ich zahle, lauten »Weil jeder zahlt« und »Weil ich dann auch später wieder einen Kredit bekomme«, dann verknüpfe ich meine Zahlungsmoral mit meiner Einschätzung dessen, was andere tun werden, und mit der Zukunft des potenziellen Geldgebers. Wenn ich also überzeugt wäre, dass alle anderen nicht bezahlen, müsste ich annehmen, dass die Organisation demnächst zusammenbricht und ich demzufolge keine weiteren Kredite von ihr erhielte. Folglich kann die bestehende Situation sehr schnell kippen, wenn es zu einem Meinungsumschwung kommt.
    Diese Erfahrung musste Spandana im Distrikt Krishna in Andhra Pradesh machen, dem Ausgangspunkt der indischen Mikrofinanzbewegung. Einige Politiker und Verwaltungsleute dieses Distrikts wollten ihr eigenes Mikrofinanzinstitut nach vorn bringen und beschlossen daher, sich der Konkurrenz zu entledigen. Im Jahr 2005 waren die dortigen regionalen Zeitungen urplötzlich voller Geschichten über Padmaja Reddy (manchen Berichten
zufolge handelte es sich um Fälschungen, die lediglich die Aufmachung der echten Blätter imitierten). Einige berichteten, sie sei nach Amerika geflohen, andere behaupteten, sie habe ihren Ehemann umgebracht. Daraus zogen die Leute den Schluss, dass Spandana am Ende sei und es folglich keinen Grund gab, den Kredit zurückzuzahlen, den sie bekommen hatten. Wir haben mit eigenen Augen einen »Artikel« gesehen, in dem behauptet wird, Padmaja selbst habe gesagt, die Schuldner könnten die Zahlungen einstellen, sie habe genug Geld gemacht und würde jetzt gehen.
    Es war ein von oben gelenkter Versuch, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, mit dem Ziel, die Organisation komplett zu untergraben. Die Menschen glauben zu machen, dass ein Mikrofinanzinstitut keine Zukunft hat, ist die sicherste Methode, um genau das zu erreichen – denn dann liegt es im Interesse jedes einzelnen Schuldners, die Zahlungen einzustellen. Padmaja war bestürzt (obwohl sie über die Vorstellung lachen musste, sie würde vor ihren Verpflichtungen nach Amerika fliehen – schließlich hatten die Schuldner ihr Geld und nicht umgekehrt), aber sie wollte nicht aufgeben. Sie fuhr kreuz und quer durch den Bundesstaat, ließ sich bei den Schuldnertreffen in jedem noch so kleinen Dorf sehen und gab zu verstehen: »Ich bin immer noch hier und ich habe nicht vor wegzugehen.«
    Auf diese Weise konnte die Krise abgewendet werden. Doch nur wenige Monate später, im März 2006, kam es zu einem neuen »Skandal«, der zu einer Bedrohung von viel größerer Tragweite wurde. Dieses Mal wurden Spandana und Share, einer der Mitbewerber, beschuldigt, für die Selbstmorde einiger Bauern verantwortlich zu sein. In Zeitungsartikeln hieß es, die

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