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Poor Economics

Poor Economics

Titel: Poor Economics Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abhijit Banerjee , Esther Duflo
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viele Menschen zu erreichen. Wegen der Struktur des Programms, auf der der Erfolg des Geldverleihens an Arme beruht, können wir aber nicht damit rechnen, dass es auch zum Ausgangspunkt für die Finanzierung größerer Geschäftsideen werden wird. Das ist die nächste große Herausforderung für das Finanzwesen in Entwicklungsländern: Möglichkeiten für die Finanzierung von Unternehmen mittlerer Größe zu finden.

8 Sparen – Stein für Stein
    Wenn man in einem Entwicklungsland von einem Stadtzentrum in Richtung der weniger wohlhabenden Vorstädte fährt, fallen einem fast überall die vielen unfertigen Häuser auf. Es gibt Häuser mit vier Wänden, aber ohne Dach, Häuser mit Dach, aber ohne Fenster, Rohbauten mit ein oder zwei angefangenen Wänden, Häuser, aus deren Dächern Balken herausragen, Anstriche, die irgendjemand begonnen, aber nicht zu Ende gebracht hat. Und doch sind nirgendwo Zementmischer oder Maurer zu sehen. An den meisten dieser Häuser wurde seit Monaten nichts mehr getan. In einigen der neueren Stadtviertel im marokkanischen Tanger gibt es so viele ruhende Baustellen, dass die fertiggestellten und frisch gestrichenen Häuser förmlich ins Auge springen.
    Fragt man die Eigentümer, warum sie ein unfertiges Haus haben, sagen sie meistens schlicht: So sparen wir. Das kommt uns irgendwie bekannt vor. Immer wenn Abhijits Großvater etwas Geld übrig hatte, baute er ein Zimmer an sein Haus an. So entstand nach und nach, Raum für Raum, das Haus, in dem Abhijits Familie heute noch lebt. Ärmere Leute können kein ganzes Zimmer auf einmal bauen. Abhijits Familie hatte einen Fahrer, der sich gelegentlich einen Tag frei nahm. Dann kaufte er einen Sack Zement, einen Sack Sand und einen Haufen Ziegelsteine und verbrachte seinen freien Tag mit Maurerarbeiten. Er baute viele Jahre an seinem Haus, immer 100 Steine auf einmal.
    Auf den ersten Blick scheint ein unfertiges Haus nicht die attraktivste Form des Sparens zu sein. In einem Haus ohne Dach kann man nicht wohnen, ein halb fertiges Haus kann im Monsunregen einstürzen, und wenn man wegen eines Notfalls Geld
braucht, bevor das Haus fertig ist, und man es in diesem Zustand verkaufen muss, dann ist der Rohbau unter Umständen weniger wert, als das Baumaterial gekostet hat. Aus all diesen Gründen würde man meinen, es sei praktischer, Geld beispielsweise bei einer Bank zu sparen, bis genug zusammengekommen ist und man wenigstens einen überdachten Raum auf einmal bauen kann.
    Wenn die Armen immer noch Stein für Stein sparen, haben sie vermutlich keine bessere Möglichkeit. Kann es daran liegen, dass die Banken keinen Weg gefunden haben, an die Ersparnisse der Armen zu kommen? Steht uns womöglich eine »Mikrosparrevolution« bevor? Oder haben wir etwas übersehen, das aus einem unfertigen Haus eine interessante Investition macht? Und sollten wir nicht vor dem unglaublichen Durchhaltevermögen der Menschen den Hut ziehen, die oft von weniger als 99 US-Cent pro Tag leben und jahrelang auf die kleinen Annehmlichkeiten des Lebens verzichten, nur damit ihr Haus fertig wird? Oder sollten wir uns darüber wundern, dass sie nicht mehr sparen, um schneller bauen zu können, wenn die Stein-für-Stein-Methode der einzige Weg zum Eigenheim ist?
    Warum die Armen nicht mehr sparen
    Arme haben Probleme, Kredite für ihre Vorhaben zu bekommen, und kaum die Möglichkeit, sich gegen Risiken abzusichern – sollten sie da nicht versuchen, so viel wie möglich zu sparen? Ersparnisse könnten ihnen als Puffer dienen, wenn die Ernte schlecht ausfällt oder jemand krank wird. Sie könnten auch der Schlüssel für die Eröffnung eines Geschäfts sein.
    An diesem Punkt hört man häufig den Einwand: »Wie sollen die Armen denn sparen, wenn sie kein Geld haben?« Doch das ist nur auf den ersten Blick vernünftig. Die Armen sollten sparen, weil sie wie alle anderen auch eine Gegenwart und eine Zukunft haben. Sie haben heute wenig Geld, richtig, aber sie gehen vermutlich davon aus, dass sie auch morgen wenig Geld haben werden
 – es sei denn, sie erwarten, dass sich in der Nacht ein warmer Geldregen über sie ergießt. Genau genommen wäre Sparen für sie wichtiger als für Reiche, weil sie auf diese Weise zumindest die Chance hätten, von einem kleinen Polster vor einer zukünftigen Katastrophe bewahrt zu werden. Ein solches Polster könnte beispielsweise verhindern, dass arme Familien im indischen Distrikt Udaipur Mahlzeiten ausfallen lassen müssen, wenn das Geld zur Neige

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