Poor Economics
geht, was sie nach ihren eigenen Worten sehr unzufrieden macht. Ganz ähnlich in Kenia: Wenn ein Marktverkäufer an Malaria erkrankt, bleibt der Familie nichts anderes übrig, als einen Teil der Betriebsmittel zu verkaufen, um die Medikamente zu bezahlen. Doch dem wiedergenesenen Patienten erschwert das die Rückkehr zur Arbeit, weil er dann nichts oder kaum noch etwas zu verkaufen hat. Hätte man das nicht vermeiden können, indem man immer etwas Geld für Medikamente beiseitelegt?
Das war genau das Bild, das man im viktorianischen Zeitalter von den Armen hatte: zu ungeduldig und unfähig, ein Stück weit vorauszudenken. Konsequenterweise glaubte man, die einzige Möglichkeit, die Armen vom Abgleiten in ein Lotterleben abzuhalten, sei die Androhung extremen Elends, sollten sie je den Pfad der Tugend verlassen. Dafür hatten sie grauenhafte Armenhäuser (in denen man die Bedürftigen unterbrachte) und die aus Charles Dickens’ Erzählungen bekannten Schuldgefängnisse. Diese Auffassung von Armen als Leuten, die irgendwie anders »gestrickt« sind und deren Hang zu kurzsichtigem Verhalten dafür verantwortlich ist, dass sie arm bleiben, hat sich über die Jahre fast unverändert gehalten. Wir finden eine moderne Variante dieser Auffassung unter den Kritikern der Mikrofinanzinstitute, die diesen vorwerfen, sie würden die Schwächen der Armen ausnutzen. Ganz anders Gary Becker, Nobelpreisträger und Vater der modernen Familienökonomie, der 1997 in einem Artikel schrieb, Besitz und Wohlstand ermutigten die Menschen, in mehr Gelassenheit zu investieren. Umgekehrt bedeutet das natürlich, dass Armut die Menschen (auf Dauer) ungeduldig macht. 1
Es gehört zu den großen Vorzügen der relativ jungen Bewegung
von Mikrokreditfans und anderen, dass man in jedem Armen den geborenen Kapitalisten erkennt und ihn nicht länger als Volltrottel oder Bruder Leichtfuß betrachtet. In Kapitel 6 haben wir uns mit Risiken und Versicherungen beschäftigt, dabei haben wir gesehen, dass sich die Armen ständig Gedanken um ihre Zukunft machen (vor allem über sich abzeichnende Katastrophen) und alle möglichen klugen oder teuren Maßnahmen ergreifen, um die potenziellen Risiken zu begrenzen. Denselben Einfallsreichtum legen Arme an den Tag, wenn es um ihre Finanzen geht. Nur in seltenen Fällen haben sie ein Konto bei einer Bank oder Sparkasse – in unserem 18-Länder-Vergleich waren das in Indonesien (dem Land, das genau in der Mitte lag) 7 Prozent der Armen auf dem Land und 8 Prozent der Armen in der Stadt. In Brasilien, Panama und Peru liegt der Anteil unter einem Prozent. Trotzdem sparen diese Menschen. Stuart Rutherford, der Gründer von SafeSave, einem Mikrofinanzinstitut in Bangladesch, das sich darauf konzentriert, den Armen sparen zu helfen, berichtet in zwei wunderbaren Büchern ( The Poor and Their Money, »Die Armen und ihr Geld«, und Portfolios of the Poor, »Die Portfolios der Armen«) darüber, wie sie das tun. 2 Die Grundlagen für dieses Buch lieferten 250 arme Familien in Bangladesch, Indien und Südafrika, die ein ganzes Jahr lang jede einzelne ihrer finanziellen Transaktionen festhielten und an die Forscher berichteten, die sie alle zwei Wochen aufsuchten. Zu deren wichtigsten Erkenntnissen gehört, dass die Armen zahlreiche pfiffige Wege zum Sparen finden. Zusammen mit anderen Sparern bilden sie »Sparclubs«, wo jeder jedem hilft, seine Sparziele zu erreichen. In einigen Teilen Indiens sind Selbsthilfegruppen sehr beliebt, die es auch in vielen anderen Ländern gibt; in diesen Sparclubs können Mitglieder aus den angesammelten Ersparnissen auch Kredite erhalten. In Afrika sind »rotierende Spar- und Kreditvereine« ( Rotating Savings and Credit Association, ROSCA) am weitesten verbreitet; sie werden dort auch als »merry-go-round« (Karussell) oder – in französischsprachigen Ländern – als »tontine« (Leibrentengesellschaft, eigentlich ein Vorläufer der Rentenversicherung)
bezeichnet. ROSCA-Mitglieder treffen sich regelmäßig und zahlen bei jeder Zusammenkunft den gleichen Geldbetrag in einen gemeinsamen Topf. Bei jedem Treffen bekommt, reihum, ein anderes Mitglied den gesamten Topf. Bei anderen Sparformen wird beispielsweise ein »Einlagensammler« dafür bezahlt, die Beiträge der einzelnen Sparer einzusammeln und zur Bank zu bringen, manchmal deponiert man das Geld auch beim örtlichen Geldverleiher oder man hinterlegt es bei sogenannten Geldwächtern, meistens Bekannte, die kostenlos oder gegen eine
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