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Poor Economics

Poor Economics

Titel: Poor Economics Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abhijit Banerjee , Esther Duflo
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tatsächlichen heutigen und zukünftigen Handeln. Diese sogenannte Zeitinkonsistenz sorgt zum Beispiel dafür, dass wir
heute Geld ausgeben und gleichzeitig planen, in der Zukunft zu sparen. Man könnte auch sagen, wir hoffen, dass unser »zukünftiges Ich« mehr Geduld aufbringen wird als unser »heutiges Ich«
    Eine andere Form von Zeitinkonsistenz ist, heute zu kaufen, worauf man Lust hat (Alkohol, süßes oder fettes Essen, billigen Schmuck), aber sich vorzunehmen, die wichtigeren Ausgaben (Schulgeld, Moskitonetze, Dachreparatur) morgen zu tätigen. Mit anderen Worten: Wir können uns noch so schön ausmalen, was wir uns einmal kaufen werden – es ist nicht immer das, wofür wir am Ende heute Geld ausgeben. Zu wissen, dass man morgen wieder einen über den Durst trinken wird, bereitet kaum jemandem Vergnügen, es macht einen eher unglücklich. Aber wenn es dann morgen ist, können viele nicht Nein sagen. So gesehen, ist Alkohol für viele Menschen ein sehr verführerisches Produkt, eines, das sofort konsumiert werden will, ohne groß Vorfreude zu gewähren. Ein Fernsehgerät dagegen hat diesen Versuchungscharakter nicht: Viele Arme planen und sparen monate- oder jahrelang, um sich ein solches Gerät kaufen zu können.
    Eine Gruppe aus Wirtschaftswissenschaftlern, Psychologen und Neurowissenschaftlern wollte nachweisen, dass es für diese Diskrepanz im Entscheidungsverhalten eine physiologische Grundlage gibt. 7 Sie nahmen unterschiedlich datierte Geschenkgutscheine und ließen die Versuchsteilnehmer zwischen verschiedenen Varianten wählen. Jeder musste mehrere Entscheidungen treffen. Zum Beispiel: »Wollen Sie 20 Dollar jetzt oder 30 Dollar in zwei Wochen?« (Gegenwart vs. Zukunft), »Wollen Sie 20 Dollar in zwei Wochen oder 30 Dollar in vier Wochen?« (nahe Zukunft vs. fernere Zukunft), »Wollen Sie 20 Dollar in vier Wochen oder 30 Dollar in sechs Wochen?« (fernere Zukunft vs. noch fernere Zukunft). Der Clou an diesem Experiment war, dass die Kandidaten ihre Entscheidungen in einem Kernspintomographen liegend treffen mussten. Auf diese Weise konnten die Forscher beobachten, welche Hirnregionen dabei aktiviert wurden. Sie stellten fest, dass die zum limbischen System gehörenden Teile des Gehirns (von denen man annimmt, dass sie für spontane
»Bauch«-Entscheidungen verantwortlich sind) nur aktiviert wurden, wenn sich die Probanden zwischen einer Belohnung heute oder einer in der Zukunft entscheiden mussten. Der seitliche präfrontale Cortex dagegen (ein eher berechnender Teil des Gehirns) reagierte bei allen Entscheidungen mit ähnlicher Intensität, unabhängig davon, wie die Alternativen terminiert waren.
    Ein Gehirn, das so funktioniert, sollte für eine Menge gescheiterter guter Absichten sorgen. Und die sind in der Tat überall anzutreffen – von den Neujahrsvorsätzen bis zur ungenutzten Mitgliedschaft im Fitnessclub. Dennoch scheinen sich viele Menschen, wie zum Beispiel die Modimbas oder Wycliffe Otieno, dieser Inkonsistenz absolut bewusst zu sein. Sie legten ihr Geld in Form von Düngemitteln an, um diese Klippe zu umschiffen. Auch waren sie sich anscheinend bewusst, dass es sich bei manchen »Notfällen« in Wirklichkeit um solche verführerischen Produkte handelt, denn sie merkten, dass es in dem betreffenden Moment einfacher ist, das Geld auszugeben statt »das Problem« aufzuschieben oder zu Hause zu bleiben statt sich aufzumachen, um noch etwas zusätzlich zu verdienen.
    In Hyderabad haben wir Slumbewohner gebeten, uns zu sagen, ob es Produkte gibt, bei deren Kauf sie sich gerne stärker zurückhalten würden. Sie nannten prompt Tee, Snacks, Alkohol und Tabak. Aus dem, was sie uns erzählten, sowie aus unseren gesammelten Daten ging eindeutig hervor, dass sie einen beträchtlichen Teil ihres Haushaltsbudgets für diese Dinge ausgaben. Dieses Wissen um die eigenen Schwächen begegnete Esther, Michael und Jonathan auch, als sie Teilnehmer des kenianischen Düngemittelprogramms vor der Ernte fragten, wann sie vorbeikommen sollten, um ihnen die Gutscheine zu verkaufen. Die meisten sagten, sie sollten früh kommen. Die Bauern wussten, dass sie direkt nach der Ernte Geld haben, dieses aber bald »verschwunden« sein würde.
    Angesichts von so viel Selbsterkenntnis ist es nicht verwunderlich, dass viele Sparformen der Armen darauf abzielen, das Geld nicht nur vor dem Zugriff anderer zu schützen, sondern auch
vor ihrem eigenen. Wenn Sie ein bestimmtes Ziel vor Augen haben (den Kauf einer Kuh, eines

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