Poor Economics
verschiedene Eventualitäten gedanklich durchspielen und mit der Ehefrau oder dem Kind diskutieren. Je reicher wir sind, desto häufiger werden solche Entscheidungen für uns getroffen. Arbeiter und Angestellte zahlen in die Sozialversicherung ein, und oft gibt auch ihr Arbeitgeber noch etwas zu einem Vorsorge- oder Rentenplan dazu. Wenn sie mehr sparen wollen, müssen sie das nur einmal beschließen, und das Geld wird automatisch von ihrem Bankkonto abgebucht. Den Armen fehlt diese Hilfestellung: Selbst bei Sparkonten, die es ihnen erleichtern sollen, ein Ziel zu erreichen, ist ein aktiver Schritt – die Geldeinzahlung – erforderlich. Jemand, der jede Woche oder jeden Monat einen bestimmten Betrag sparen möchte, muss wieder und wieder diese Selbstdisziplin aufbringen. Selbstdisziplin ist wie ein Muskel: Er ermüdet, wenn er beansprucht wird. Aus diesem Grund sollte es nicht überraschen, wenn es Armen schwerer fällt zu sparen. 11 Hinzu kommt, dass die Armen unter erheblichem Stress leiden (wir haben in Kapitel 6 schon darüber gesprochen); unter Stress steigt der Cortisolspiegel, und man handelt impulsiver. Für das Wenige, das sie haben, müssen sich die Armen also auch noch wesentlich mehr plagen.
Aus beiden Gründen können wir davon ausgehen, dass Reiche einen höheren Prozentsatz ihres Reinvermögens (im Sinne von Besitz plus Einkommen) sparen können. Und weil Sparen heute wesentlich zum Reinvermögen von morgen beiträgt, entsteht
häufig eine S-förmige Beziehung zwischen dem Reinvermögen von heute und dem von morgen. Die Armen sparen relativ wenig, deshalb sind ihre zukünftigen Ressourcen eher gering. Wenn Menschen reicher werden, beginnen sie, einen höheren Prozentsatz ihrer Ressourcen zu sparen, das bedeutet, dass sie in der Zukunft – relativ gesehen – über mehr Ressourcen verfügen werden als Arme. Und wenn sie schließlich richtig reich sind, müssen sie einen viel geringeren Anteil ihres Vermögens sparen, um sich ihre Zukunftsträume zu erfüllen, als Leute aus der Mittelschicht (die sich beispielsweise nur so ein Haus kaufen können).
Abbildung 4: Vermögen in Thailand 1999 und 2005 (logarithmische Darstellung)
Wir finden diese S-förmige Beziehung zwischen dem Reinvermögen von heute und dem von morgen in der realen Welt. In Abbildung 4 sind die Ressourcen thailändischer Haushalte im Jahr 1999 gegen die von 2005 aufgetragen. 12 Die Kurve ähnelt einem flachen, langgezogenen S (zugegeben, man muss hier die Phantasie etwas bemühen). Menschen, die heute zu den Reicheren
gehören (über mehr Ressourcen verfügen), sind – wenig überraschend – im Durchschnitt morgen noch reicher. Interessanter ist, dass die Kurve am unteren Ende, im Bereich der sehr geringen Ressourcen relativ flach ist, dann steigt sie plötzlich stark an, bevor sie wieder abflacht.
Diese S-förmige Beziehung erzeugt, wie wir bereits gesehen haben, eine Armutsfalle. Diejenigen, die direkt links von der Stelle P, wo die Vermögenskurve die 45°-Linie berührt, beginnen, bleiben hier stehen, sie werden nicht mehr reicher werden: Sie können nichts zurücklegen und sitzen in der Armutsfalle. Diejenigen, die sich direkt rechts von P befinden, sparen dagegen mehr, als sie brauchen, um ihre Stellung zu halten: Sie werden reicher. Die Armen bleiben hier also arm, weil sie nicht genug sparen können.
Wie kann man sich aus der Falle befreien?
Das Sparverhalten hängt sehr stark davon ab, was sich die Menschen von der Zukunft erwarten. Arme, die das Gefühl haben, es könnte ihnen gelingen, ihre Träume Wirklichkeit werden zu lassen, haben allen Grund, ihren alltäglichen »Luxuskonsum« zurückzuschrauben und in diese Zukunft zu investieren. Wer jedoch glaubt, dass er nichts zu verlieren hat, trifft oft Entscheidungen, die diese Ausweglosigkeit widerspiegeln. Damit lassen sich nicht nur die Unterschiede zwischen Arm und Reich erklären, sondern auch die Unterschiede zwischen verschiedenen armen Menschen.
Die Obst- und Gemüseverkäufer sind ein gutes Beispiel dafür. Dean Karlan und Sendhil Mullainathan bezahlten für eine zufällig ausgewählte Gruppe dieser Verkäufer (in Indien und auf den Philippinen) sämtliche Schulden. 13 Viele von ihnen schafften es, eine Zeitlang schuldenfrei zu bleiben; nach zehn Wochen waren es auf den Philippinen noch 40 Prozent. Das heißt, diese Verkäufer waren geduldig genug, sich die Schulden für eine Weile vom Hals zu halten. Doch nach und nach verschuldeten sich fast alle
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