Poor Economics
der Armen verbessern, gute Chancen haben, und wer wüsste besser als Arme, wie diese beschaffen sein müssen?
Kapitalisten ohne Kapital
In der Tat besitzt jedes Mikrofinanzinstitut, das etwas auf sich hält, eine Website, auf der man Geschichten von erfolgreichen Mikrofinanzkunden lesen kann, die eine überraschende Gelegenheit beim Schopf gepackt und damit ihr Glück gemacht haben. Es gibt sie wirklich, wir sind einigen dieser Menschen begegnet, zum Beispiel in der Stadt Guntur im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh. Dort lernten wir eine Kundin von Spandana kennen, die mit Müllsammeln und -recyclen ein sehr erfolgreiches Geschäft betrieb. Begonnen hatte sie als Müllsammlerin, das ist so ziemlich die niedrigste soziale und ökonomische Stufe, auf der man in Indien stehen kann. Mit ihrem ersten Kredit von Spandana zahlte sie nur den Kredit an den Geldverleiher zurück, dessen Zinsen sie auffraßen. Sie wusste, dass die Geschäfte, die ihr den Müll abkauften, diesen sortierten, bevor sie ihn an die Recycler weiterveräußerten: die Metallgewinde und die Wolframfäden aus kaputten Glühbirnen, Plastik, organische Abfälle und so weiter, jeder Abfalltyp ging an einen bestimmten Recycler. Nachdem ihr der erste Kredit Luft verschafft hatte, beschloss die Müllsammlerin, das Sortieren selbst zu übernehmen, um so noch etwas Geld zusätzlich zu verdienen. Mit einem zweiten Kredit und dem, was sie dank des ersten hatte sparen können, kaufte sie einen Karren, mit dem sie mehr Müll einsammeln konnte. Natürlich musste dann auch mehr Material sortiert werden, und irgendwie schaffte sie es, ihren Mann dafür einzuspannen, der seine Tage bislang mit Trinken zubrachte. Gemeinsam verdienten sie deutlich mehr Geld, und mit ihrem dritten Kredit begannen sie, den Müll von anderen Sammlern aufzukaufen. Als wir die Frau kennenlernten, stand sie an der Spitze eines weitverzweigten Netzwerks von Müllsammlern; sie sammelte nicht mehr selbst, sondern organisierte das Ganze. Auch ihr Ehemann arbeitete jetzt ganztags: Wir sahen ihn auf einem Stück Metall herumklopfen, er wirkte nüchtern, wenn auch ein bisschen missmutig.
Die Mikrofinanzinstitute werben mit den Geschichten ihrer erfolgreichsten Kreditnehmer, aber es gibt auch erfolgreiche Unternehmer, die keinen Zugang zu Mikrokrediten hatten. Xu Aihua gehörte 1982 zu den besten Absolventen der Mittelschule in ihrem Dorf in der Nähe von Shaoxing in der chinesischen Provinz Zhejiang. Ihre Eltern waren Kleinbauern und besaßen wie fast jeder dort sehr wenig Geld. Die junge Frau war so intelligent, dass das Dorf beschloss, sie für ein Jahr auf die nicht weit entfernte Modeschule zu schicken (was das genau bedeutet, ist schwer zu sagen, denn zu jener Zeit trugen alle noch Mao-Anzüge). Dahinter stand die Idee, sie könnte nach ihrer Rückkehr eine Führungsrolle übernehmen, im Ort und in dem gerade gegründeten Dorfunternehmen (man befand sich gerade in den ersten Jahren der Liberalisierung in China). Doch als sie nach einem Jahr Ausbildung zurückkehrte, bekamen die Dorfältesten kalte Füße – sie war eben doch nur ein Mädchen und noch nicht einmal zwanzig Jahre alt. Also schickte man sie ungerührt nach Hause, ohne Job.
Xu Aihua hatte keine Lust, untätig herumzusitzen. Sie wollte etwas tun, aber ihre Eltern waren zu arm, um sie zu unterstützen. Also lieh sie sich ein Megaphon und ging mit der Durchsage durchs Dorf, für 15 Yuan (13 PPP-USD) würde sie Mädchen das Nähen beibringen. Auf diese Weise gewann sie 100 Schülerinnen. Mit dem Geld kaufte sie eine gebrauchte Nähmaschine und Stoffe, die der nahe gelegene Staatsbetrieb übrig hatte, und begann zu unterrichten. Als der Kurs zu Ende war, behielt sie die acht besten Schülerinnen und eröffnete ein Geschäft. Die jungen Frauen kamen jeden Morgen mit ihrer Nähmaschine auf dem Rücken (sie hatten ihre Eltern dazu gebracht, ihnen eine zu kaufen) und begannen, zuzuschneiden und zu nähen. Sie stellten Uniformen für die lokalen Fabrikarbeiter her. Anfangs arbeiteten sie bei Xu Aihua zu Hause, aber als das Geschäft expandierte und immer mehr Schüler und Angestellte dazukamen, zogen sie in ein Gebäude um, das Xu Aihua von der Gemeinde anmietete.
Bis 1991 hatte sie so viel von ihren Gewinnen angespart, dass sie sechzig automatische Nähmaschinen für zusammen 54 000
Yuan (27 600 PPP-USD) anschaffen konnte. Ihr gebundenes Kapital hatte sich in acht Jahren mehr als verhundertfacht; das sind 80 Prozent pro Jahr.
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