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Poor Economics

Poor Economics

Titel: Poor Economics Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abhijit Banerjee , Esther Duflo
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Unterstützung für Menschen, deren Einkommen unter eine bestimmte Grenze rutscht; das würde ihnen zumindest die Sorge nehmen, wie sie an Geld für das nackte Überleben kommen. Das Gefühl von Sicherheit, die jede dieser Maßnahmen zu vermitteln vermag, würde die Menschen aus zwei Gründen zum Sparen ermutigen: Es gäbe ihnen Hoffnung, dass die Zukunft auch Gutes bereithält, und es würde den Stresslevel senken, der die Entscheidungsfähigkeit direkt beeinflusst.
    Wichtiger ist, dass ein wenig Hoffnung und etwas Sicherheit und Ermutigung einen mächtigen Ansporn darstellen können. Wir können ein Leben in Sicherheit führen, ein Leben, das von Zielen, die wir aller Voraussicht nach erreichen werden (ein neues Sofa, einen großen Flachbildschirm, einen Zweitwagen), und Einrichtungen, die uns helfen, diese Ziele zu erreichen (Sparkonten, Rentenfonds, Bausparkassen) strukturiert wird – da fällt es leicht, Motivation und Disziplin für eine Charaktereigenschaft zu halten wie die viktorianische Gesellschaft. Mit dem Ergebnis, dass man immer Angst hat, mit den trägen Armen zu nachsichtig zu sein. Wir behaupten, dass das Problem in der Regel genau umgekehrt gelagert ist: Es ist unmöglich, die Motivation aufrechtzuerhalten, wenn alles, was man sich erträumt, unerreichbar zu sein scheint. Unter Umständen würde es genügen, die Ziellinie etwas näher heranzurücken, um die Armen zum Loslaufen zu bewegen.

9 Widerwillige Unternehmer
    Ein Geschäftsmann, neben dem wir während eines Flugs zufälligerweise saßen, erzählte uns, dass er Mitte der siebziger Jahre in den USA seinen M.B.A. (Master of Business Administration) gemacht habe. Doch kaum nach Indien zurückgekehrt, habe ihm sein Onkel eine Lektion in wahrem Unternehmertum erteilt. Eines Morgens hatte dieser ihn zur Börse in Mumbai mitgenommen, das damals noch Bombay hieß. Als sie vor dem modernen Hochhaus angekommen waren, in dem sich die Börse befindet, gingen sie nicht hinein. Stattdessen forderte ihn sein Onkel auf, vier Frauen zu beobachten, die auf dem Gehweg vor dem Hochhaus saßen und auf die Straße blickten. Der angehende Geschäftsmann und sein Onkel standen also einige Minuten und sahen den Frauen zu. Die meiste Zeit taten sie nichts. Manchmal jedoch, wenn der Verkehr stillstand, standen die Frauen auf, kratzten etwas von der Straße, steckten es in mitgebrachte Plastiktüten und kehrten wieder auf ihre Posten zurück. Nachdem das eine Weile so gegangen war, fragte ihn sein Onkel, ob er das Geschäftsmodell verstanden habe. Aber er stand vor einem Rätsel. Sein Onkel musste es ihm erklären: Die Frauen gingen jeden Morgen vor Sonnenaufgang an den Strand und sammelten dort nassen Sand ein. Den breiteten sie vor Einsetzen des Berufsverkehrs gleichmäßig auf der Fahrbahnoberfläche aus. Wenn die Autos später darüberfuhren, trocknete die Wärme der Reifen den Sand. Die Frauen mussten dann nichts weiter tun, als gelegentlich aufzustehen und die oberste, trockene Sandschicht abzukratzen. Bis neun oder zehn Uhr hatten sie eine ansehnliche Menge trockenen Sand gesammelt und kehrten in ihren
Slum zurück, wo sie ihn in kleinen Päckchen aus weggeworfenem Zeitungspapier verkauften: Die Frauen im Slum benutzen den trockenen Sand als Scheuerpulver für ihre Töpfe. Das, so meinte der Onkel, sei wahres Unternehmertum: Wenn du so gut wie nichts hast, nutze deinen Einfallsreichtum, um aus nichts etwas zu machen.
    Die Frauen aus den Slums, die ihren Lebensunterhalt quasi mit dem rollenden Verkehr in Bombay bestritten, sind ein Sinnbild für die unglaubliche Innovationsfähigkeit und den Unternehmergeist, den Arme so oft an den Tag legen. Es wäre ein Leichtes, dieses Buch mit Geschichten über die Kreativität und die Hartnäckigkeit von Kleinunternehmern zu füllen. Solche Bilder haben die Mikrofinanz- und die Social-Business-Bewegung beflügelt, die davon ausgehen, dass Arme geborene Unternehmer sind und wir die Armut beseitigen können, indem wir ihnen ein geeignetes Umfeld bieten und ein bisschen Starthilfe geben. Oder wie es John Hatch formulierte, der Gründer von FINCA ( Foundation for International Community Assistance ), einem der weltgrößten Mikrofinanzinstitute: »Gebt armen Gemeinden die Möglichkeiten an die Hand und geht aus dem Weg.«
    Dennoch kann es immer wieder zu Überraschungen kommen, wenn man den Weg frei gemacht hat, die Armen aber anscheinend noch nicht bereit sind loszulegen. Seit dem Jahr 2007 arbeiten wir mit Al Amana zusammen,

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