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Poor Economics

Poor Economics

Titel: Poor Economics Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abhijit Banerjee , Esther Duflo
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für Ihre Kinder?« Die Ergebnisse waren überraschend eindeutig, ganz gleich wen und wo wir fragten: Fast alle Armen träumen davon, dass ihre Kinder einmal Staatsbedienstete werden. In der indischen Stadt Udaipur sagten 34 Prozent der Eltern von sehr armen Familien, sie wünschten sich, dass ihr Sohn Lehrer an einer staatlichen Schule würde, 41 Prozent sähen ihn gerne in einem anderen Job im Staatsdienst und 18 Prozent träumten von einem Angestellten in einem Privatunternehmen. Die Mädchen sollten zu 31 Prozent Lehrerinnen werden und zu 31 Prozent einen anderen Beruf im Staatsdienst ausüben; 19 Prozent der Eltern wollten, dass ihre Tochter Krankenschwester wird. Für die Armen scheint Unternehmer kein erstrebenswerter Beruf zu sein.
    Der ausgeprägte Wunsch nach einer Anstellung im Staatsdienst zeigt, wie groß die Sehnsucht nach Stabilität ist: Diese Jobs sind in der Regel sehr sicher, auch wenn sie nicht immer sehr spannend sind. Stabile Arbeitsverhältnisse machen anscheinend auch den Hauptunterschied zwischen den Armen und der Mittelschicht aus. In unserem 18-Länder-Vergleich hatten Leute aus der Mittelschicht wesentlich häufiger Jobs, in denen sie wöchentlich oder monatlich bezahlt wurden statt tageweise; das kann als grobes Kriterium zur Unterscheidung zwischen Gelegenheitsjob und fester Anstellung gelten. In pakistanischen Städten beispielsweise
erhalten 74 Prozent der abhängig Beschäftigten, die von weniger als 99 US-Cent pro Tag leben, einen Wochen- oder Monatslohn, aber 90 Prozent derer, die zwischen 6 und 9 US-Dollar verdienen. Auf dem Land beziehen 44 Prozent der sehr armen abhängig Beschäftigten einen festen Lohn, aber 64 Prozent der Angestellten aus der Mittelschicht.
    Sichere Jobs machen Wandel möglich. Im ländlich geprägten indischen Distrikt Udaipur leben die meisten Familien von weniger als 2 US-Dollar pro Tag. Doch eines Tages kamen wir in ein Dorf, das schon auf den ersten Blick anders aussah als die anderen Dörfer in der Region, genauer gesagt, es gab auffällige Unterschiede. Überall waren Zeichen relativen Wohlstands zu entdecken: ein Blechdach, zwei Mopeds in einem Hof, ein glatt gestriegelter Teenager in einer gebügelten Schuluniform. Wie sich herausstellte, war in der Nähe des Dorfes eine Zinkfabrik errichtet worden, und von jeder Familie, mit der wir sprachen, arbeitete mindestens ein Mitglied in der Fabrik. Der Vater eines Familienoberhaupts hatte irgendwie einen Job in der Kantine ergattert und es dann geschafft, eine Arbeit in der Fabrikhalle zu bekommen. Sein Sohn, jetzt ein Mann Ende fünfzig, gehörte zu den ersten Jungen aus dem Dorf (insgesamt waren es acht), die einen Highschool-Abschluss machten. Auch er ging in die Zinkfabrik und brachte es bis zum Vorarbeiter. Seine beiden Söhne besuchten ebenfalls die Highschool. Einer arbeitet in der Zinkfabrik, der andere hat einen Job in Ahmedabad, der Hauptstadt des benachbarten Bundesstaats Gujarat. Auch seine beiden Töchter machten den Highschool-Abschluss, bevor sie heirateten. Für diese Familie war die Ansiedlung der Zinkfabrik in ihrer Nachbarschaft ein echter Glücksfall, der einen Circulus virtuosus in Gang setzte – mit Investition in Humankapital und dem Aufstieg auf der Beschäftigungsleiter.
    Eine Studie von Andrew Foster und Mark Rosenzweig zeigt, dass dies kein Einzelfall ist, sondern dass die Fabrikarbeit für den Anstieg der Löhne in indischen Dörfern eine wichtige Rolle spielt. 10 Von 1960 bis 1999 kam es in Indien zu einem schnellen
Produktivitätszuwachs in der Landwirtschaft, gleichzeitig stieg aber auch die Zahl der Menschen, die in Fabriken nahe der Dörfer Arbeit fanden, sehr rasch an; viele dieser Fabriken waren im Rahmen von Maßnahmen zur Förderung des ländlichen Raums errichtet worden. Die Zahl der Beschäftigten in diesen Fabriken verzehnfachte sich von den frühen achtziger Jahren bis 1999. Etwa die Hälfte der Dörfer, die Foster und Rosenzweig untersuchten und in denen es ursprünglich nur Landwirtschaft gegeben hatte, befanden sich 1999 in der Nähe einer Fabrik, und 10 Prozent der männlichen Arbeitskräfte aus diesen Dörfern waren in der Fabrik beschäftigt. Dörfer, in deren Umgebung sich eine Fabrik angesiedelt hatte, wiesen zuvor typischerweise ein niedriges Lohnniveau auf; die wachsende Beschäftigung in der Fabrik ließ die Löhne jedoch wesentlich stärker steigen als die Landwirtschaft, wo die Produktivität dank der Grünen Revolution zunahm. Die Armen profitierten

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