PopCo
wieder ernst, er runzelt die Stirn.
«Aber jetzt ist ja danach. Jetzt können wir reden.»
«Ist das … das alles hier … Ist das nur Sex?», fragt er. «Nur, damit ich Bescheid weiß.»
«Das weiß ich noch nicht», sage ich. «Bist du mit Chloë …?»
«Wie?» Er schüttelt den Kopf. «Ach so. Nein. Wir sind einfach Kollegen.»
«Oh. Gut. Ich meine … Ich weiß es trotzdem nicht, aber … vielleicht sollten wir einfach noch ein bisschen abwarten, oder?»
Sein Nicken kommt fast zu schnell. «Ja, cool.»
«Es gibt mit Sicherheit irgendwelche Gesundheitskampagnen, die junge Leute wie uns vor so was warnen …»
«Umso besser.» Ben nimmt einen Zug von meiner Zigarette.«Ich hoffe, wir stecken uns gegenseitig mit Läusen, Pest und Elefantitis an.»
Ich muss wieder lächeln. «Genau.»
Dann schlafen wir auf meinem Bett ein und wachen erst wieder auf, als das Abendessen längst vorbei ist.
KAPITEL ACHTZEHN
A ls ich das nächste Mal aufwache, ist Ben fort. Meine Kontaktlinsen habe ich schon vor einiger Zeit rausgenommen, das Zimmer
ist ein nächtlicher Nebel aus schemenhaften Möbelstücken und verschwommenen Kanten. Ich lege die kurze Strecke zur Badewanne
zurück und lasse heißes Wasser ein, dessen Dampf alles noch unschärfer macht. Wenn Ben noch hier wäre, dann wäre er jetzt
auch nur ein Umriss, ein dunkler Fleck auf dem Bett. Ein Gemisch aus Gerüchen, kleinen Lauten, rätselhaften Schaltkreisen.
Wenn er mich ansähe, würde ich es spüren, selbst wenn ich gerade nicht in seine Richtung schaute. Vor etwa einem halben Jahr,
als ich kurz darüber nachdachte, ein Set mit dem Namen KidKinetik oder so ähnlich vorzuschlagen, habe ich ein Buch zu übersinnlichen
Phänomenen gelesen. Das Projekt war natürlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Im heutigen Spielzeugmarktklima gilt
es eben nicht als ersprießliche Freizeitbeschäftigung, wenn Kinder ihre übersinnlichen Fähigkeiten schulen und Séancen abhalten.
In der Wanne lese ich das Buch über das Mädchen mit dem Pferd zu Ende und halte es ganz dicht vors Gesicht, um ohne Linsen
lesen zu können. Natürlich findet sie den Jungen schließlich doch und geht seinem Geheimnis auf den Grund: Er hat keine Eltern
mehr und kein Geld und lebt in einer Scheune, wo ihm nur sein Pferd Gesellschaft leistet. Das Buch endet damit, dass das Mädchen
Pläne schmiedet, ihre Eltern zu fragen, ob er nicht bei ihnen wohnen kann. Das Ganze wird etwas melodramatisch und erinnert
ein bisschen zu sehr an Cathy und Heathcliff aus
Sturmhöhe
, aber ich weiß, dass ichden zweiten Band der Reihe auch noch lesen würde, wenn ich ihn hier hätte. Was aber offenbart mir dieses Buch über junge Mädchen?
Nicht besonders viel. Die Hauptfigur kauft sich nie etwas, sie interessiert sich im Grunde nur für ihr Pferd. Was könnte man
einem solchen Mädchen verkaufen? Vermutlich lässt auch jemand wie sie ihr Pferd und ihren Heathcliff irgendwann hinter sich,
mit etwa fünfzehn vielleicht, und dann setzt das Markenbewusstsein ein. Aber selbst dann bleibt die Frage, was man ihr außer
Handys, CDs, Schminksachen, Klamotten und billigem Alkohol noch verkaufen soll. Eine ziemlich harte Nuss.
Meine Haare fühlen sich nach den letzten paar Tagen an wie Stroh mit Klebstoff darin. Ich wasche sie in der Badewanne, weil
mir schon früher aufgefallen ist, dass es hier keine Duschvorrichtung gibt. Ich brauche irgendein Gefäß, um mir sauberes Wasser
über den Kopf zu schütten, doch noch während ich mich nach etwas Brauchbarem umschaue, kommt mir der Gedanke plötzlich verschwenderisch
vor. Vielleicht liegt es ja am Moor, an der Tatsache, dass ich nicht in der Stadt bin. In der Stadt hat fließendes Wasser
etwas von Magie: Man dreht den Wasserhahn auf, und schon ist es da. Wie aus dem Nichts! Ein Wunder. Hier draußen dagegen,
wo das kalte Wasser direkt aus der Quelle kommt (und kein bisschen nach Chlor schmeckt), hat man das Gefühl, als gehörte das
Wasser noch der Erde oder hätte ihr zumindest noch vor gar nicht langer Zeit gehört. Hier draußen hält die Erde vielleicht
Wache und beobachtet, was man mit ihrem kostbaren, reinen Nass anstellt. Dann wird mir klar, was mich überhaupt auf solche
Gedanken bringt. Die Verlorenen Elemente. Wenn ich Wasser verschwende, um mir die Haare auszuspülen, wird es mir dann vielleicht
irgendwann genommen? Noch so eine harte Nuss.
Schließlich spüle ich mir die Haare im Badewasser
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