PopCo
Dinger, nicht
größer als 22 KB, mit denen sie ihre wichtigsten und geheimsten Arbeiten speichern und mit Passwörtern schützen kann. Sie speichert ihre
Arbeit auf großen Disketten, die nur mit ihren Programmen und ihren Passwörtern funktionieren. Dann fängt sie an, Zellularautomaten
zu bauen. Ich hatte immer die Befürchtung, meine Großmutter würde ihre Arbeit nie mit meinem Großvater und mir teilen können,
weil das alles viel zu kompliziert für uns ist, doch jetzt ruft sie uns ständig in ihr Zimmer, um uns zu zeigen, was sie Neues
gemacht hat. Zellularautomaten sind spitze! Meine Großmutter hat Kontakt zu einem anderen Mathematiker aufgenommen, John Horton
Conway, der diese Automaten mit seinem
Game of Life
, dem «Spiel des Lebens», bekannt gemacht hat.
Eigentlich ist es ja gar kein richtiges Spiel. Man erstellt ein rasterartiges Feld auf dem Computer, ungefähr so wie ein Schachbrett.
Jedes Quadrat auf dem Spielfeld steht für eine Zelle, und es kann unendlich viele davon geben, obwohl man immer nur eine bestimmte
Anzahl auf dem Bildschirm sehen kann. Eine schwarze Zelle gilt als lebendig, eine weiße Zelle alstot. Bei Conways Spiel gibt es vier Regeln: Eine schwarze Zelle mit null oder einem schwarzen beziehungsweise lebenden Nachbarn
stirbt an Isolation. Eine schwarze Zelle mit vier oder mehr lebenden Nachbarn stirbt an Platzmangel. Eine tote, also weiße
Zelle mit ganz genau drei lebenden Nachbarn wird wieder lebendig. Alle anderen Zellen bleiben unverändert. Wenn man das Programm
laufen lässt, hat man tatsächlich das Gefühl, dass es ein Eigenleben führt, etwa wie ein sehr primitiver Zeichentrickfilm,
weil alle Regeln gleichzeitig ausgeführt werden und der Bildschirm sich mit ständig wechselnden Mustern füllt wie ein Kaleidoskop.
Wenn man wissen will, wie es funktioniert, kann man es auch manuell machen und schwarze Zellen in das weiße Raster einsetzen,
aber das geht natürlich viel langsamer, und man bekommt keinen so guten Eindruck von den Mustern, die sich ausdehnen und wieder
zusammenziehen, wenn neue Generationen von Zellen geboren werden oder sterben. Aber es macht Spaß, eigene Muster zu entwerfen,
mit denen man das Spiel beginnen lässt, und dann zuzuschauen, was daraus wird. Selbst ganz schlaue Leute können nicht ohne
weiteres berechnen, was das Ergebnis der verschiedenen Startmuster sein wird. Genau das fasziniert meine Großmutter so daran.
Manchmal darf ich mich zu ihr setzen und die Zahlen eingeben, um das Programm zu starten, und dann schauen wir zu, wie die
schwarzen Kleckse immer größer und größer werden und dann sterben, wie sie sich in kleine, blinkende Linien verwandeln oder
einfach nach einer einzigen Generation zugrunde gehen. Vor dieser seltsamen Pixel-Kulisse auf dem schwarzweißen Bildschirm
reden wir manchmal auch über andere Dinge. Ich weiß jetzt endlich ein bisschen mehr über die Riemann’sche Vermutung und habe
gelernt, vierdimensionale Koordinaten zu verwenden (auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie der dazugehörige Graph aussehen
würde). MeineGroßmutter hat mir erklärt, dass sie, nach all den Jahren der Arbeit daran, die vier Dimensionen im Kopf deutlich vor sich
sieht, auch wenn das angeblich unmöglich sein soll. Ich habe in einem Science-Fiction-Buch gelesen, dass die Zeit die vierte
Dimension ist. Meine Großmutter korrigiert mich.
«Zeit ist eindimensional», sagt sie. «In unserer physischen Welt erfahren wir drei räumliche Dimensionen und eine zeitliche.»
Eine vierte Raumdimension, erklärt sie mir, wäre etwas völlig anderes und würde das Unterscheiden von Innen und Außen unendlich
viel komplizierter machen. Ein Kubus wäre dann gewissermaßen nur noch der Rand eines komplexeren Gebildes.
«Was hast du eigentlich gemeint», frage ich, «als du gesagt hast, er hätte mich zum lebenden Beweis gemacht? Steht die Lösung
tatsächlich hier drin?» Ich ziehe die Kette hervor, öffne das kleine silberne Medaillon und deute auf die Ziffern darin. «Dass
das Aleph-Null-Symbol eine falsche Fährte ist, weiß ich ja jetzt. Aber das hier – das andere – ist das sein Beweis?»
«Frag das mal lieber deinen Großvater», sagt meine Großmutter, so wie früher, wenn ich von ihr wissen wollte, wie das Wetter
wird.
«Das geht nicht», sage ich trübsinnig. «Er will nicht darüber reden.»
Auf dem Bildschirm hat während der letzten fünf Minuten viel Bewegung geherrscht,
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