Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
PopCo

PopCo

Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
Vom Netzwerk:
geht niemand neben mir, um sich mit mir zu unterhalten. Ich habe lauter Glasscherben im
     Hals. Es ist wunderschön hier, so ganz von der Natur umgeben, aber ich will einfach nur ins Bett und schlafen. Als wir an
     der Stelle sind, wo wir den Hühnerhabicht vermuten, setzen sich alle zum Meditieren ins feuchte Gras, und ich nutze die Gelegenheit,
     mich an einen großen, alten Baum zu lehnen und ein Nickerchen zu machen. Hinterher muss Ben mich aufwecken. Als wir weitergehen,
     sind meineBeine sirupweich und gleichzeitig fast zu schwer, um noch einen Schritt zu machen.
    Irgendwie gelingt es uns, mit dieser seltsamen Mixtur aus Meditieren und Kompasslesen – ich selbst beteilige mich zwar nicht
     daran, kann aber objektiv bezeugen, dass die meisten anderen es tun – kurz nach zwei ans Ufer des Meavy zu gelangen. Ein Schild
     bestätigt uns, dass es sich um den richtigen Fluss handelt, und alle brechen in Jubelgeheul aus. Als wir dem Meavy ein Stück
     folgen und uns schon darauf vorbereiten, den einstigen Maishasen zu visualisieren, kommen wir unversehens an ein Pub, in das
     wir ausgepumpt und hungrig einfallen. Ich esse eine Suppe und trinke eine Bloody Mary dazu, doch meine Erkältung ist schon
     zu weit fortgeschritten. Mich kann nichts mehr retten. Nach dem Essen halte ich es nicht mehr aus. Das Pub hat einen offenen
     Kamin, in dem ein Feuer flackert, und die Luft hier fühlt sich an wie warmer Sirup. An den Wänden hängen diverse Scheußlichkeiten,
     ausgestopfte Hirschköpfe und Jagdfotos. Das alles verschwimmt vor mir zu einem großen Nichts. Ich schließe die Augen, lege
     den Kopf auf den Tisch und verabschiede mich aus der Welt.
    «Ich bringe sie zurück», höre ich Ben sagen. «Sie fühlt sich nicht gut.» Ich spüre Arme, die mich sanft umfassen, die kühlere
     Luft draußen. Dann höre ich einen Automotor und schließlich das Knirschen von Kies, das mir anzeigt, dass wir zu Hause sind.
    ***
    Wenn ich gerade nicht an der Primfaktorisierung sitze, lese ich das Buch, das meine Großmutter mir geliehen hat, das Buch
     über Kurt Gödel. Anscheinend war mein Großvater vor langer Zeit einmal ganz besessen von Gödels Arbeit. Ich kann das nachvollziehen.
     Aus dem gleichen hartnäckigen Anarchismusheraus, den auch mein Großvater vertritt, wollte Gödel zeigen, dass man mathematische Lehrsätze niemals völlig schlüssig beweisen
     kann; nicht, weil die Mathematik in sich nicht konsistent wäre, sondern weil sie schlicht und einfach nie ganz fehlerfrei
     sein kann.
    Im Jahr 1900 hielt der deutsche Mathematiker David Hilbert einen berühmten Vortrag über dreiundzwanzig mathematische Probleme,
     deren Lösung er für die größte Herausforderung des anbrechenden Jahrhunderts hielt. Als erstes Problem nannte er die Kontinuumshypothese,
     die besagt, dass zwischen den Unendlichkeiten Aleph Null und Aleph Eins nichts sei und sich zwischen Cantors Konzepten des
     Zählbaren und Nicht-Zählbaren (des Kontinuums also) keine Werte finden lassen. Die Riemann’sche Vermutung stand auf Hilberts
     Problemliste an achter Stelle. Doch Hilbert plädierte auch dafür, dass die Grundprinzipien der Mathematik, ihre Axiome, ein
     für alle Mal geklärt werden müssten. Das war sein Problem Nummer 2.   Man machte sich bereits seit längerem Gedanken darüber, ob das geschlossene System der Mathematik in sich tatsächlich konsistent
     und alle arithmetischen Axiome korrekt seien. Wenn es sich als nicht konsistent erwiese, wären alle bisherigen Beweise sämtlicher
     Lehrsätze nichts mehr wert (vorausgesetzt, dass jemand bestimmen könnte, was dieses «nichts» eigentlich ist). Was wäre, wenn
     sich beispielsweise herausstellte, dass die Riemann’sche Vermutung gleichzeitig wahr und falsch ist? Dass 1+1 gleichzeitig
     2
und
3 ergibt? Das kam überhaupt nicht in Frage.
    Axiome sind die Grundlagen der Mathematik. Man kann sie nicht unbedingt selbst beweisen, und doch bilden sie die Basis aller
     anderen mathematischen Beweise. Als mathematischer Beweis gilt der logische Beleg dafür, dass etwas immer genau so sein wird.
     Euklid zum Beispiel hat den Beweis geführt, dass es eine unendliche Anzahl von Primzahlen gibt,Cantor hat diese Unendlichkeit auf Aleph Null oder ℵ 0 eingeschränkt. Ein mathematischer Beweis ist allerdings niemals dasselbe wie ein empirischer Beleg. Wenn man den Satz des
     Pythagoras beweisen will (den ich jetzt übrigens kenne, weil er auch in dem Buch steht: Er besagt, dass in allen ebenen

Weitere Kostenlose Bücher