PopCo

Universums zu kommen. Würde
     es sich an dreidimensionaler Mathematik versuchen, obwohl es nie einen dreidimensionalen Gegenstand gesehen hat? Würde es
     Theorien über weitere Dimensionen entwickeln, so wie wir das tun? Würde es an ein Leben nach dem Tod glauben? Würde es je
     auf ein verschollenes Manuskript stoßen, das durch Zufall (vielleicht auch durch Hinterlist,denn eigentlich gibt es ja keine echten Zufälle) in seine Welt geraten ist, eine Blaupause für etwas Unbekanntes, eine andere
     Welt vielleicht, die nie erschaffen wurde? Und würde es dann sein Leben dem Versuch widmen, diese Sprache und die Bilder zu
     entschlüsseln   …?
    Ich fühle mich gar nicht gut.
    Während ich noch nachdenke, ist Kieran zu uns herübergekommen. Ich sehe, dass er mit allem möglichen Plunder behängt ist.
     An seinem Gürtel baumeln ein Fernglas, eine Zange und ein Flachmann. Seinen Kompass trägt er um den Hals, und über der Schulter
     hat er eine Tasche, die verdächtige Ähnlichkeit mit einem Tornister hat. Er sieht aus wie das wandelnde Hollywoodklischee
     eines adligen viktorianischen Forschungsreisenden.
    «Was habt ihr Mädels denn da zu bereden?», fragt er. «Frisuren? Kinder?»
    «Leck mich», sagt Violet grinsend.
    Kieran sieht mich an. «Erzähl mir mal von deinem Freund da   … Wie heißt er noch?»
    «Wen meinst du?»
    Er macht ein übertrieben konzentriertes Gesicht. «Dan? Ja, genau. Wie ist er so?»
    «Nett», sage ich. «Warum fragst du?»
    «Er hat mich neulich gefragt, ob er zu mir ins Team kommen kann, wenn das alles hier vorbei ist. Aber ich weiß echt nicht,
     ob ich was für ihn habe. Scheint ja ein ziemlich guter Zeichner zu sein, hat allerdings reichlich merkwürdige Ideen.»
    Guter Zeichner
.
Merkwürdige Ideen
. Dann wird ihm Dan wohl die Entwürfe für seine nicht-existente Welt gezeigt haben. Wer weiß, vielleicht ist ihm ja aufgegangen,
     dass diese nicht-existente Welt gut auch eine virtuelle werden könnte? Wir durchqueren ein kleines Waldstück und versuchen,
     nicht über die Wurzeln zu stolpern, die überall aus dem Boden ragen. Ichmuss schon wieder an Zombie-Finger denken und wäre lieber draußen auf dem freien Feld.
    «Und was machst du so, Alice? Wer bist du wirklich?»
    «Hm?» Mein wirrer Kopf kommt gerade gar nicht klar mit Kierans Art zu reden. «Wie war das?»
    «Was machst du, wenn du mal nichts für PopCo machst?»
    «Ach, du willst wissen, was ich für Hobbys habe», sage ich. Violet lächelt mich an, dann entfernt sie sich und geht zu Ben
     und Frank hinüber, die in eine eifrige Diskussion verstrickt scheinen. «Ich mag Kreuzworträtsel», sage ich.
    «Und was für DVDs hast du zu Hause?»
    «DVDs?»
    «Man kann sehr viel über Leute erfahren, wenn man sich ihre DV D-Sammlung anschaut. Früher ging das auch mit Büchern. Oder mit Videos. Bei einem neuen Typen gehst du doch bestimmt auch erst mal durch
     die Wohnung und überlegst dir anhand der Sachen, die im Regal stehen, ob du mit ihm ins Bett willst. Nicht, dass ich überlegen
     würde, mit dir ins Bett zu gehen. Andererseits, wenn du nicht schon vergeben wärst   …»
    «Ich habe gar keine DVDs», unterbreche ich ihn rasch.
    «Videos?»
    «Nein.»
    «CDs?»
    «Ein paar, ja, aber die stehen nicht im Regal. Die kann sich also keiner ansehen, der sich überlegt, ob er mit mir ins Bett
     will. Oder nicht.»
    «Dan hat schon gemeint, dass du so reagieren würdest.»
    «Was bitte hat Dan damit zu tun?»
    «Er meinte, es wäre nicht leicht, dich kennenzulernen.»
    Ich runzele die Stirn. «Das stimmt überhaupt nicht.»
    «Aber du erzählst mir doch nichts von dir.»
    «Ich erzähle dir nichts von den Sachen, die ich besitze», sage ich. «Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.»
    «Soll ich dir stattdessen erzählen, was ich für DVDs habe?»
    «Wenn du willst. Aber glaub ja nicht, dass du mich damit ins Bett kriegst.»
    Wir grinsen uns an, und für die nächsten zehn Minuten plaudert Kieran fröhlich über amerikanische Remakes japanischer Independent-Filme, B-Movies , Anime und alte Western, bis er den Eindruck hat, dass ich jetzt alles über ihn weiß. Er sagt mir nicht, wo er aufgewachsen
     ist, wie viele Geschwister er hat, wovor er sich fürchtet, wie braun er seinen Toast mag und ob das tatsächlich seine Naturhaarfarbe
     ist, wie er die Welt verbessern würde, ob er an Gott glaubt (wobei ich zumindest die Antwort auf diese Frage schon zu kennen
     glaube), wen er wählen würde, was seine ideale Partei