PopCo
ist.
Ich denke an all das, was ich in den letzten paar Wochen in der Schule erlebt habe, an die seltsamen Spiele, deren Regeln
ich inzwischen beherrsche, und sehe Jasmine geradewegs in die Augen.
«Nein», sage ich. «Ich kann es nicht beweisen. Deshalb komme ich wie Sie zu dem Schluss, dass tatsächlich ein rosa Elefant
im Zimmer sein muss.» So. Ich glaube zwar, dass dieses Spiel eigentlich nicht so laufen soll, aber ich merke gleich, dass
ich gewonnen habe.
Jasmine lächelt und mustert mich kopfschüttelnd. «Also, so eine Antwort habe ich wirklich noch nie bekommen. Wie ausgesprochen
merkwürdig.»
«Tja», sagt meine Großmutter. «So ist Alice.»
«Ich habe das schon bei Hunderten von Kindern ausprobiert, die alle Gott weiß was versucht haben, um mir zu beweisen, dass
kein rosa Elefant im Zimmer ist.»
«Und warum haben Sie es bei Hunderten von Kindern ausprobiert?», will ich wissen.
«Das ist ein Experiment, um herauszufinden, wie jemand Realität definiert und woraus sie seiner Ansicht nach besteht», sagt
Jasmine. «Im Grunde geht es um die Argumente, mit denen man mich überzeugen will. Manche Kinder sagen: ‹Aber Sie sehen doch,
dass hier kein rosa Elefant ist.› Darauf antworte ich: ‹Stell dir mal vor, ich wäre blind. Wie würdest du mich dann überzeugen
wollen?› Dann gehen sie sämtliche Sinne einen nach dem anderen durch. Schließlich erkläre ich ihnen, dass der rosa Elefant
unsichtbar ist und sie ihn deshalb nicht sehen können, und frage sie noch einmal, ob sie mir beweisen können, dass er nicht
da ist. Die meisten finden, das mit dem Unsichtbarsein sei geschummelt und könne gar nicht sein – aber beweisen können sie
es nicht. Manche sagen auch: ‹Aber wenn er unsichtbar ist, woher wollen Sie dann wissen, dass er rosa ist?›, was uns dann
auf eine völlig andere Schiene bringt.»
«Und was bedeutet Alices Antwort?», fragt mein Großvater.
«Das weiß ich nicht», sagt Jasmine. «Alice? Warum hast du mir zugestimmt, dass ein rosa Elefant im Zimmer ist, wo doch ganz
offensichtlich keiner da ist?»
Ich werde langsam müde und widerborstig. «Ach?», sage ich. «Gerade sagten Sie noch, es sei einer da.»
Jasmine lacht. «Ja, natürlich. Aber eigentlich wissen wir doch beide, dass hier kein rosa Elefant ist.»
«Dann beweisen Sie es mir», sage ich.
Im Stillen denke ich mir aber, dass ich bloß zugestimmt habe, weil ich müde bin und weil ich heute gelogen und betrogen habe,
und dass es mir eigentlich völlig gleichgültig ist, ob wir rosa Elefanten im Wohnzimmer haben oder nicht. Wenn Jasmine das
glauben will, kann sie es von mir aus gerne tun. Ich bin jederzeit bereit, ihr zuzustimmen. Was haben Wahrheit und Realität
schon zu bedeuten? Wenn hier tatsächlich ein rosa Elefant im Zimmer wäre, hätte das allenfalls danneine Auswirkung auf mein Leben, wenn er sich auf mich setzte und ich anschließend ins Krankenhaus käme und meine sogenannten
Freunde nicht mehr sehen müsste.
Die Erwachsenen lachen wieder.
«So, du Schlaubergerin», sagt mein Großvater. «Jetzt wird es aber wirklich Zeit fürs Bett.»
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
A m Dienstagmorgen, kurz nach dem Frühstück, klopft es an meine Tür. Als ich aufmache, stehen draußen eine Frau, die ich noch
nie gesehen habe, und ein Mann, der wie ein Techniker aussieht. Die Frau hat ein Clipboard und einen Stapel Zeitschriften
in der Hand, der Mann schiebt einen großen Rollwagen mit einem Fernseher und einem Videorecorder vor sich her.
«Sind Sie Alice Butler?», fragt mich die Frau.
«Ja», sage ich.
«Na, bestens. Wir haben einen Fernseher für Sie.»
Ich runzele die Stirn. «Aber ich brauche doch keinen …»
«Und außerdem Videokassetten. Da das Material, das den anderen Teilnehmern heute präsentiert wird, als Video vorliegt, kam
man auf die Idee, dass Sie es sich ja trotzdem ansehen können, auch wenn Sie krank sind. Deshalb bringen wir Ihnen die Videos.
Das hier ist John, unser Techniker. Er wird Sie verkabeln.» Sie schenkt mir ein strahlendes Lächeln. «Alles klar?»
«Alles klar», sage ich. «Danke.»
Die Frau löst ein paar DIN-A 4-Blätter von ihrem Clipboard und gibt sie mir. Die Überschrift lautet schlicht: 14. Und als Untertitel:
Noch Kind oder schon erwachsen?
Die Frau hakt etwas auf dem verbliebenen Blatt ab und hält die Zeitschriften hoch.
«Die kriegen auch alle. Sie sollen beim Recherchieren helfen.» Sie legt den Stapel auf das Fußende
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