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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Kissen auf und mache es mir mit meinem Tee gemütlich. Der Vorspann informiert
     mich, dass die folgende Dokumentarreihe Teil einer Studie (der ersten ihrer Art, das übliche Blabla) über heutige Teenager
     in Großbritannien sei. Wie stehen sie zu Themen wie Sex, Leben, Geld, Schule, Arbeit, Pornographie? Sind sie Kinder oder Erwachsene?
     Soll man ihnen erlauben zu wählen, von der Schule abzugehen, Sex zu haben? Das Logo der Produktionsfirma wird eingeblendet,
     und eine Stimme aus dem Off verkündet, dass die Dokumentarreihe teilweise von einem der großen Fernsehsender finanziert und
     von PopCo gesponsert wurde. Vor Beginn der ersten Folge wird auch unser Logo eingeblendet. Ich vermute, dass es bei der Fernsehausstrahlung
     wohl nicht mehr gezeigt werden wird. Das hier scheint die firmeneigene Aufnahme zu sein, die nicht für den breiten Markt bestimmt
     ist.
    In der ersten Dokumentation geht es um eine Gruppe Vierzehnjähriger, fünf Mädchen und fünf Jungen, die eine Woche lang ohne
     Erwachsene zusammen in einem Vororthaus wohnen sollen. Es gibt keinen Fernseher, keine Stereoanlage und keine Videospiele.
     Wie aus Protest gegen die fehlende Aufsicht («Kriegen wir keinen Ärger?» «Ist doch keiner da, oder? Wir können machen, was
     wir wollen   …») zerlegen die Teenager erst einmal fachgerecht das ganze Haus. Als sie die Wände mit Grafitti-Slogans verschönern, kann
     ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Im Lauf der Woche flirten die beiden «beliebtesten»Mädchen (also die, die am meisten wie Fernsehmoderatorinnen aussehen) mit allen Jungs, spielen ein paar Knutschspielchen mit
     ihnen, merken dann aber, dass sie keine Lust mehr darauf haben, und verbünden sich mit den anderen Mädchen gegen die Jungs.
     Irgendwann legen die Jungs dem Finbar-Stofftier eines Mädchens eine Schlinge um den Hals und hängen es an einer Lampe auf.
     «Tod dem Bären!», skandieren sie, doch als das Mädchen anfängt zu weinen, hören sie wieder damit auf. Die Mädchen stylen sich
     gegenseitig, reden über Jungs und üben Choreographien im Garten, während die Jungs aufwendige Wasserbomben basteln und sich
     darüber kaputtlachen. Sie leben von Chips und Mikrowellengerichten. Die Küche ist ein Schlachtfeld.
    Die nächste Folge zeigt ein ähnliches Experiment, bei dem zehn andere Jugendliche in eine Luxuswohnung mit mehreren Etagen,
     einem riesigen Home-Cinema-System, einer großen Stereoanlage, einem Whirlpool und einem kleinen Spielcasino gesteckt werden.
     Diese Wohnung nehmen die Teenager nicht auseinander. Stattdessen hocken sie – und das ist kaum übertrieben – eine Woche lang
     nur vor dem Fernseher, schauen Musikvideos und Werbespots und unterhalten sich darüber, welche von den beworbenen Sachen sie
     sich kaufen würden, wie es wäre, berühmt zu sein, und welche Leute aus dem Fernsehen «cool» sind und welche nicht. Ihre Küche
     verwandeln sie ebenfalls in ein Schlachtfeld, ansonsten sind sie aber auf fast schon unheimliche Weise organisiert. Für den
     Mittwoch planen sie einen «Disco-Abend», für den Donnerstag eine «Casino-Nacht». Das sind auch die einzigen beiden Gelegenheiten
     (von den Nächten einmal abgesehen), zu denen sie nicht vor dem Fernseher sitzen. Bei diesem Experiment gehen irgendwann zwei
     Mädchen mit zweien der Jungs ins Bett. Die Eltern, die das Ganze über eine versteckte Webcam beobachten dürfen, wollen einschreiten,
     doch die Produktionsfirma hält sie davon ab.
    Jetzt mache ich mir doch ein paar Notizen. Es fasziniert mich, wie homogen diese Jugendkultur wirkt. Die Teenager schauen
     alle dieselben Sendungen, sie haben alle ähnliche Träume (verschiedene Variationen zum Thema «berühmt werden»). Und sie haben
     fast alle denselben Londoner Akzent, zumindest, soweit sie aus dem Süden Englands stammen. Erstaunlicherweise ist das aber
     nicht mehr das «Pseudo-Cockney» meiner Jugend, sondern ein schwarzer Süd-Londoner Hip-Hop-Ton, der mir sogar ganz gut gefällt.
     Trotzdem finde ich das seltsam. Wie kommt so etwas zustande? Ist es nun ein schönes Beispiel für einen neuen Multikulturalismus,
     dass diese Kinder versuchen, sich einen Akzent zuzulegen, den meine Großeltern noch ausschließlich mit Ausländern in Verbindung
     gebracht hätten? Oder ist es nur ein schwacher Protest gegen ihre eigene fade Kultur – nach dem Motto:
Wir sind anders, aber darin sind wir alle gleich
? Von diesem universellen Akzent scheint es sogar schon regionale Varianten zu geben.

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