PopCo
Zumindest kann man diesen Kids nicht
mehr vorwerfen, sie sprächen Estuary English, den Dialekt der südlichen, flussnahen Gegenden – ein Vorwurf, den ich zum Beispiel
ständig zu hören bekomme, obwohl ich nie einen Fuß in die Nähe der Themsemündung gesetzt habe.
Anders spricht man offenbar nur noch, wenn man auf ein Privatinternat geht, doch selbst da ist es nicht mehr das lupenreine
Standardenglisch, das man traditionell mit Internaten verbindet. Während die anderen sich die Schwarzen aus der Großstadt
zum Vorbild nehmen, orientieren sich die Internatsschüler an den Shopping Malls von Beverly Hills. In beiden Dokumentationen
war die obligatorische Privatschülerin immer die schlankste und hübscheste und trug, zumindest aus meiner Erwachsenenperspektive,
die coolsten Klamotten. Trotzdem brauchten diese Mädchen in beiden Fällen aber eine ganze Weile, um sich in die «Gruppe» einzufinden.
Mit ihren Designer-Röckchen, ihren hochgekrempelten Jeans, ihren Ringelsöckchen,Stulpen, Stirnbändern, ihren süßen T-Shirts , den selbstgestalteten Jeansjacken und den Baseballstiefeln wirkten sie einfach zu sehr wie aus dem Modemagazin. Die Mädchen,
die sofort gut ankamen, hatten den gefahrloseren Weg der Hüftjeans, Trägertops, Nietengürtel und Sneakers gewählt. Alle Mädchen
– bis auf die eine Nicht-Modebewusste, die es in jeder Gruppe gab – trugen Stirnbänder, die, wie ich von Chi-Chi und Konsorten
weiß, dieses Jahr das allercoolste Accessoire sind, und sorgten ganz bewusst dafür, dass man ihre B H-Träger sah. Wieso war das eigentlich noch nicht in Mode, als ich in dem Alter war? Wir versuchten damals verzweifelt, BHs zu finden,
deren Träger man eben nicht sah, was praktisch unmöglich war. Wenn man damals so rumgelaufen wäre wie die Teenies heute, mit
rotem Bustier unter dem durchsichtigen weißen Oberteil und offen zur Schau gestellten Trägern, hätte man sofort als drogensüchtiger
Freak dagestanden. Wie sich die Zeiten ändern.
Als ich vierzehn war, trug man noch Leggings, und keine Jeans passte richtig. Gute Klamotten waren möglichst weit, die Größe
XS existierte gar nicht. Nichts saß auf der Hüfte, nichts war ausgestellt (bis auf die Hosenbeine der Jugendlichen aus den
furchtbaren Siebzigern, die man in den schuleigenen Sexualkundevideos vorgeführt bekam). Ich sah vermutlich so aus wie die
gar nicht modebewussten Mädchen aus den beiden Episoden mit ihren strubbeligen Haaren, ihren schlecht sitzenden Jeans und
den langärmeligen No-Name-Tops. Warum geben diese Mädchen sich eigentlich so wenig Mühe, dazuzugehören? Weil sie nicht können
oder weil sie nicht wollen? Ersteres vermutlich, wobei die wahren Gründe natürlich unendlich vielfältig sein können. Objektiv
gesehen unterscheiden sie sich von den anderen Mädchen vor allem dadurch, dass sie nicht von Kopf bis Fuß mit Identitätsmarkern
gepflastert sind. Während die Botschaft der anderen lautet: «Seht her, das binich», kommunizieren sie die Botschaft: «Ich bin gar nichts.» Und spannenderweise wurden die weniger modebewussten Mädchen
meist auch erst dann in die Hauptclique aufgenommen, wenn sie sich umstylen ließen oder sich irgendein modisches Accessoire
von einer neuen «Freundin» liehen.
Das alles verknüpft sich jetzt mit meiner Kette-/Armband-Idee. Ich notiere mir die Identitätsmarker, die am wichtigsten zu
sein scheinen, und mache ein paar Standbildskizzen. Dann schalte ich den Fernseher wieder aus (ich fühle mich davon nur krank
beziehungsweise noch kränker) und blättere stattdessen in den Zeitschriften. Hier finden sich dieselben Sachen: süße Handtäschchen,
hochgekrempelte Jeans, «individuelle» Schnürsenkel, Ringe, Stirnbänder, Plastik- und Textilarmreifen, Halsbänder, Perlenketten,
Haarspangen, Nagellack in Blau, Rosa oder Schwarz, süße Haargummis, süße Söckchen, süße T-Shirts , süßes Lächeln … Seit wann sind Teenies eigentlich so unwahrscheinlich süß?
Ich bin immer noch ins Lesen und Notizenmachen vertieft, als Ben mir das Mittagessen bringt.
«Ach du liebe Zeit!», sagt er, als er den Fernseher sieht.
«Tja», sage ich. «Der Berg ist zum Propheten gekommen.»
«Das ist aber nett.»
«Ja, nicht? Und Zeitschriften habe ich auch.»
Ben entfernt die Folie von den Tellern auf dem Tablett.
«Die haben wir alle gekriegt», sagt er. «Kieran hat sich mit seinem Stapel gleich auf sein Zimmer zurückgezogen. Das Letzte,
was man
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