PopCo
kann.»
Ich runzele die Stirn. «Aber es gibt doch bei NoCo sicher Leute, die sich mit den Grundlagen der RS A-Verschlüsselung auskennen.» Chloë schaut verständnislos. «Du weißt schon», sage ich. « E-Mail -Verschlüsselungssysteme, die auf hohen Primzahlen basieren …»
«Aber kann man das auch offline verwenden?», unterbricht sie mich.
«Offline? Nein, aber …»
«Soweit ich es verstanden habe, brauchen wir etwas, das sich in Plakate und Fernsehwerbung einbauen lässt. Es muss also völlig
internet-unabhängig sein. Wir glauben, dass wir an der Basis bereits sehr viel mehr Mitglieder haben, als wir eigentlich ahnen;
es wäre also ein gutes Kommunikationsmittel, falls wir einmal konzertierte Aktionen planen. Und auf höherer Ebene kann es
eine sinnvolle Möglichkeit sein, Informationen um die Welt zu schicken, ohne befürchten zu müssen, dass sie abgefangen werden.»
«Ihr wollt also einen Code, den man überall auf der Welt plakatieren kann und den NoCo-Mitglieder verstehen, die von der Gegenseite
aber nicht?», frage ich. «Meine Güte!»
«Ja, ich kann mir das auch schwer vorstellen. Aber du vielleicht schon, wenn du mal ein bisschen darüber nachdenkst.»
Ich denke daran, wie die SO E-Agenten im Zweiten Weltkrieg ihre Informationen erhielten. Auf die BB C-Kurznach richten im Radio folgten immer noch einige sogenannte «persönliche Nachrichten». Manche davon waren tatsächlich sehr persönliche
Nachrichten in einem Code, den nur ein einziger Zuhörer verstehen konnte. Oft waren es Bestätigungsmeldungen, codierte Antworten
auf Anfragen oder Mitteilungen des jeweiligen Agenten, doch häufig dienten die Ansagen auch einfach dazu, die Deutschen zu
verwirren. Das konnte man aber unmöglich auseinanderhalten. Meine Großeltern haben mir immer erzählt, dass es zu den spannendsten
Dingen im Krieg gehörte, sich dieses Nachrichten-Kauderwelsch anzuhören. Das hatte etwas fast Poetisches, fanden sie. Als
mein Großvater schließlich selbst im Feindesland ausgesetzt wurde, bekam diese Poesie allerdings eine sehr viel dringlichere
Dimension.
Was Chloë da von mir verlangt, ist schwierig, wenn nicht unmöglich, aber ich weiß jetzt schon, dass ich versuchen werde, eine
Lösung dafür zu finden. Ich finde es aufregend. Und während ich hier auf meinem unternehmenseigenen Bett in diesem unternehmenseigenen
Konzentrationslager sitze (in dem es ja im wahrsten Sinne des Wortes um Konzentration geht), verspüre ich ein warmes Glühen,
wie ich es seit meiner Kindheit nicht mehr empfunden habe. Ich denke an den Tag zurück, als mein Großvater mich bat, ihm mit
dem Voynich-Manuskript zu helfen. Das hier ist ähnlich, nur noch viel toller. Ehrlich gesagt habe ich fast das Gefühl, als
wäre ich gerade mitten in einen hochspannenden Film geraten, in demes weniger um Leben und Tod geht als darum, den Feind zu besiegen. Vielleicht bin ich aber auch in einem großen Videospiel,
bewaffnet mit meinem Schwert und meinen Zaubersprüchen, unterstützt von meinen Freunden. Seit ich erwachsen bin, habe ich
mich allen Herausforderungen eigentlich nur zum Spaß gestellt, als eine Art Freizeitvergnügen. Selbst die Arbeit war für mich
nie mehr als ein Kreuzworträtsel. Und obwohl es schön war, die leeren Kästchen auszufüllen und meine Vorgesetzten glücklich
zu machen, ist das hier doch um Längen besser. Auch mathematisch geht es auf. Bei John Horton Conways «Spiel des Lebens» erhält
man riesige, lebhafte Muster, die sich ständig verändern und aussehen, als könnten sie nie vergehen. Doch manchmal haucht
man einer neuen Zelle Leben ein, und ein paar Züge später ist alles schon wieder vorbei.
Ein Code, der flächendeckend eingesetzt, aber nur von NoCo-Mitgliedern verstanden werden kann? Das klingt unmöglich. Aber
es muss einen Weg geben. Seit die E-Mail -Verschlüsselung so leicht zu bewerkstelligen, aber gleichzeitig unmöglich zu knacken ist, hat es in der Kryptographie keine
weiteren Fortschritte hin zu neuen Techniken mehr gegeben. Im Augenblick sind die Kryptoanalytiker am Zug. Sobald es ihnen
gelingt, die RS A-Verschlüsselung zu knacken, müssen die Kryptographen sich etwas Neues einfallen lassen. Die meisten Experten glauben, dass die Kryptoanalyse
ihren großen Durchbruch entweder mit der Erfindung des Quantencomputers oder durch die Forschungsarbeiten im Zusammenhang
mit der Riemann’schen Vermutung erzielen wird. Falls jemand herausfinden
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