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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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du die nächsten paar Stunden schon was vor?»
    Sie schüttelt den Kopf. «Nein. Wieso?»
    Ich hole tief Luft. «Ich habe doch eben das Geheimnis erwähnt, das ich seit über zwanzig Jahren bewahre.»
    «Ja.» Sie mustert mich interessiert. «Was hat es denn damit auf sich?»
    Ich atme noch ein paarmal tief durch, schaue zur Zimmerdecke hoch und betrachte dann die Tagesdecke auf meinem Bett. «Weißt
     du, bisher konnte ich aus diversen Gründen niemandem davon erzählen. Um genau zu sein, habe ich es tatsächlich noch nie einer
     Menschenseele erzählt. Meiner besten Freundin nicht und auch keinem der Männer, mit denen ich zusammen war. Die einzigen anderen
     beiden Menschen, die davon wussten, sind schon lange tot. Aber langsam merke ich, dass ich es unbedingt mal jemandem mitteilen
     muss.»
    «Und da willst du es mir erzählen?» Chloë wirkt geschmeichelt.
    «Ja», sage ich. «Wenn du mir zuhören willst. Du bist der erste Mensch, der mir ein Geheimnis anvertraut hat, das noch viel
     größer ist als meines, und damit logisch gesehen die Einzige, der ich davon erzählen kann. Es ist übrigens eine ziemlich gute
     Geschichte, auch wenn sie bisher noch kein Ende hat.»
    «Cool», sagt Chloë. «Soll ich uns noch einen Kaffee holen?»
    «Ja, ich glaube, das wäre nicht schlecht.»
    Sie nimmt die beiden Becher und steht auf. An der Tür bleibt sie noch einmal stehen.
    «Wovon handelt die Geschichte denn?», fragt sie.
    «Von einem Medaillon», sage ich. «Und von einem ziemlich großen Schatz.»

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG
    W ir hocken zu fünft in Esthers Auto und fahren nach Dartmouth. Außer mir und Esther sind noch Ben, Chloë und Hiro in dem kleinen
     Wagen. Ich habe die Navigationsausrüstung in meiner Leinentasche verstaut, zusätzlich zu all dem anderen Zeug, das ich üblicherweise
     mit mir herumtrage. Mir brummt der Kopf von der durchwachten und durchredeten Nacht, und trotzdem habe ich mich noch nie im
     Leben so leicht gefühlt. Die Sonne scheint, wir sind unterwegs. Ich habe endlich jemandem mein Geheimnis anvertraut. Ach ja,
     und außerdem bin ich Teil einer weltweiten Widerstandsbewegung.
    Ben drückt mir den Oberschenkel. «Wie fühlst du dich?», fragt er.
    «Etwas überwältigt», sage ich. «Aber das ist gut.»
    «Wir müssen dich irgendwie auf unser Boot kriegen», sagt Chloë. «Dann können wir draußen auf dem Wasser ein NoCo-Meeting abhalten.
     Dich könnten wir dabei auch gut gebrauchen, Esther. Und Grace, wenn wir schon dabei sind.»
    «Boote sind eigentlich der beste Ort für Geheimtreffen», sagt Hiro. «Da kann einen wirklich keiner belauschen.»
    «Was bin ich froh, dass wir endlich vor Alice reden können», sagt Esther.
    «Und ich erst.» Ben strahlt mich an.
    «Dann ist Grace also auch bei NoCo?», frage ich, und ein wunderbar warmes Gefühl, das genaue Gegenteil von Schmerz, breitet
     sich in mir aus. Sie wollen ein NoCo-Meeting abhalten, und sie wollen mich dabeihaben. Zum ersten Mal in meinem Leben habe
     ich das Gefühl, irgendwo dazuzugehören – mankönnte fast schon von einer Clique reden – und trotzdem noch ich selbst sein zu können. Ich bin mir sicher, wenn meine Großeltern
     noch am Leben wären, würden sie die Alice wiedererkennen, die ich jetzt bin, die Alice, die ich mit diesen Leuten sein kann.
    «Na klar», sagt Chloë. «Sie ist super. Es ist wirklich beeindruckend, wie sie es geschafft hat, bei dieser Virtuelle-Welten-Bande
     reinzukommen. Da brauchten wir dringend jemanden, der den Laden etwas aufmischt und sich ein bisschen mit der ‹Delete›-Taste
     amüsiert.» Sie lacht, und ihr langes Haar flattert im Fahrtwind.
    Wir fahren wieder durch Totnes, meiden diesmal aber das Zentrum. Ich betrachte die sanften, grünen Hügel, die aus dem Boden
     hervorzuwachsen scheinen, diesen kurvigen Graphen, mit dem die Erde auf den Himmel trifft. Das ist alles so wunderschön. Aber
     als wir an der nächsten Ampel halten, entdecke ich etwas, dem ich mich noch näher fühle: kleine Gräser und Kräutchen, die
     sich zwischen Pflastersteinen und rissigem Asphalt hindurchzwängen. Ein kleines Büschel Löwenzahn. Ein paar Gänseblümchen.
     Ein paar Fleckchen Gras. Und plötzlich wird mir klar, dass ich diesen Anblick noch viel schöner finde. Man kann den ganzen
     Erdball mit Asphalt überziehen, das Gras wird sich doch immer noch durchsetzen.
    «Wenn ich das also richtig sehe, wollen wir Dans gesamte Mannschaft auf unser Boot holen, bis auf Dan», meint Hiro. «Das wird
     ja

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