Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
PopCo

PopCo

Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
Vom Netzwerk:
verträumte Landschaften in den typischen Bonbonfarben,
     wie man sie auf den Websites japanischer Spielzeughersteller findet: Zitronengelb, Zuckerwatterosa, Himmelblau, Erdbeerrot,
     Mintgrün und Weiß. Aquarelle, Tinte- und Tuschezeichnungen und dunkle Bleistiftskizzen mit dicken, schroffen Strichen. Ich
     blättere weiter und finde verschiedeneSkizzen zu einer Art Kuppelstruktur, dazu ein paar mehr schlecht als recht lesbare Notizen, dann weitere Tuschezeichnungen,
     einfach nur schwarz auf weiß, die Personen zeigen. Sie wirken wie Charakterstudien: Jede Figur ist aus verschiedenen Perspektiven
     und in unterschiedlichen Posen dargestellt. Ich sehe ein mageres, knochiges Mädchen mit Rucksack, eine ätherische Gestalt,
     die weiblich zu sein scheint und etwas Magisches ausstrahlt. Und schließlich – langsam glaube ich zu begreifen, worum es hier
     geht – einen Jungen mit einem gewaltigen Schwert und einer kleinen, zahmen Eidechse in der Hand.
    «Machst du die Graphik für ein neues Videospiel?», frage ich.
    «Zeig her.» Esther streckt ihre kleine Hand über den Tisch.
    «Das sind nur ein paar erste Entwürfe», sagt Dan und reicht Esther das Buch, obwohl ich ihm ansehe, dass ihm das eigentlich
     nicht recht ist. Dann blickt er wieder mich an. «Nicht direkt», beantwortet er meine Frage. «Es sind eher   … ich weiß auch nicht. Recherchen vielleicht.»
    «Und wofür?»
    «Hmm.»
    «Was heißt ‹hmm›?»
    «Die sind spitze», sagt Esther. Das Wort habe ich seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gehört – ebenso wenig wie «Erste
     Sahne», was sie als Nächstes sagt.
    Ich lasse nicht locker. «Also, was heißt ‹hmm›?»
    Dan nimmt misstrauisch ein paar Bissen von dem roten Zeug auf seinem Teller. Ich habe meine Portion schon halb aufgegessen.
     Es schmeckt gar nicht schlecht und ist tatsächlich so tröstlich, wie ich gehofft hatte. Auf dem Käsebrett liegt ein äußerst
     ansprechender Stilton, und ich versuche, etwas davon auf ein Stück Ciabatta zu bekommen. Der Käse ist reif und krümelig, und
     ständig fällt mir etwas davon vom Teller auf den Boden.
    «Beeindruckende Koordinationsfähigkeit, Butler», bemerkt Dan.
    «Tja», sage ich. «Wahrscheinlich habe ich heute ein paar Lebenspunkte eingebüßt. Erst die ganze Rennerei und dann noch diese
     seltsamen Militärmanöver mit Esther.»
    «Ich bin unschuldig», bemerkt sie, ohne von dem Notizbuch aufzuschauen. Ich sehe aber trotzdem, dass sie grinst.
    «Aha», sagt Dan. «
Lebenspunkte
. Reden wir neuerdings in Videospiel-Metaphern?»
    «Ja. Tun wir. Also   …?»
    «Also schön. Ich entwerfe ein Videospiel. Zufrieden?»
    «Aber du hast doch gerade gesagt   …»
    «Es ist nicht für die Arbeit. Mehr so ein Nebenprojekt.»
    Ich senke die Stimme, bis ich fast flüstere. «Für eine andere Firma?»
    «Quatsch. Es ist   … ein bisschen schwer zu erklären.»
    «Wieso denn? Komm schon, was ist denn daran schwer zu erklären?»
    «Mein Spiel. Es kann gar nicht existieren. Es ist ein reiner Entwurf.» Er atmet so hörbar auf, als hätte er seinen Eltern
     gerade gestanden, die Nachbarstochter geschwängert zu haben.
    «Sind Videospiele nicht immer reine Entwürfe?», fragt Esther. «Die existieren doch alle nicht im eigentlichen Sinn. Sie bestehen
     schließlich nur aus Binärcodes.»
    Am K-Tisch ist irgendwem etwas runtergefallen, man hört ein lautes Klirren und gleich darauf Beifall und Jubelrufe. Ich dachte, die
     wollen cool sein? Man sollte meinen, sie hätten längst einen Trendscout losgeschickt, um eine etwas originellere Reaktion
     auf Scherben in Pubs, Restaurants und Schulcafeterias zu finden. Bin ich neidisch auf sie? Nein, ich glaube nicht. Wir drei
     sind ein ganz gemütliches Grüppchen hier in unserer Ecke, fernab aller grellen Lampen und Scheinwerfer. Genauso gut könnten
     wir auch gemeinsam in einem alten Zelthocken, der Effekt wäre derselbe – außer, wenn es ein neonfarbenes oder sonst wie albernes Zelt wäre; dann würde man uns wahrscheinlich
     auslachen.
    Dan lächelt Esther an. «Genau», sagt er. «Ganz genau! Sie existieren nicht.»
    «Dann entwirfst du also Graphiken für ein nichtexistentes Spiel?», sagt Esther und lächelt dabei fast so süß wie das magere
     Rucksackmädchen aus Dans Skizzenbuch. Mir fällt auf, dass auch sie sich seit dem Nachmittag nicht umgezogen, dafür aber ihr
     Make-up geändert hat. Sie hat jetzt zwei rosafarbene Glitzerpunkte oberhalb der Wangenknochen und zwei kleine blaue

Weitere Kostenlose Bücher