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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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hin
     und wieder auch gute Gedanken auftauchen, so wie jetzt das Wort «Elixier», und mich daran erinnern, was ich an den Spielen
     damals so tröstlich fand.
    Dan ist immer noch dabei, uns sein Spiel zu erläutern. «Es gibt einen zentralen Knotenpunkt, eine Art Server, der alle Informationen
     hin- und hertransportiert. Da klinkt sich jeder Teilnehmer ein, wie in ein großes Netzwerk, und alle Fähigkeiten, Lebenspunkte,
     magischen Kräfte, Vorräte und Beziehungenwerden in Echtzeit aktualisiert – einfach alles eben. Angenommen, du begegnest einem Heiler, der die Wunde an deinem Bein
     kuriert. Dann schickt die Maschine deinem Anzug ein Signal, du kannst das Bein wieder bewegen, und dem Mitspieler, der dir
     geholfen hat, wird dafür etwas Heilenergie abgezogen. Ach ja, und ihr wisst doch, dass man bei solchen Spielen manchmal ausruhen
     muss, um seine Energiereserven aufzufüllen? In meinem Spiel geht das nur, wenn man auch richtig schläft. Der Anzug holt sich
     seine Informationen aus dem Gehirn, und sobald man einen tiefen Entspannungszustand erreicht hat – irgendwas mit Beta-Hertz,
     glaube ich   –, schickt er ein Signal an den zentralen Server, und alle Werte werden wieder auf Maximum gesetzt.»
    «Es geht also praktisch darum, in einem Videospiel zu leben?», frage ich.
    «Ja, so in etwa», sagt Dan.
    Esther schüttelt sich. «Und der zentrale Server ist Gott.»
    Das Paar am anderen Ende des Tisches lacht auf. Ich wende ihnen den Kopf zu, aber sie schauen nicht zu uns herüber.
    «Ich habe da mal einen Artikel in einer Wissenschaftszeitschrift gelesen», fährt Esther fort. «Der hat mir echt den Vogel
     rausgehauen. Das war so   … Es gibt da wohl tatsächlich Theorien, nach denen unsere Welt nur ein großes Videospiel ist oder eine Simulation, die irgendwelche
     höheren Wesen konstruiert haben. Oder – und da bin ich dann völlig ausgestiegen – die Menschen aus der Zukunft. Nach dem Motto:
     Irgendwann sind wir so weit entwickelt, dass wir künstliche Intelligenz erschaffen können, also machen wir das auch, und anschließend
     lernen wir, Welten zu erschaffen, und machen auch das   … Wir lernen, Götter zu werden. Und irgendwann erschaffen wir dann eine kleine, unabhängige Welt und kümmern uns nicht mehr
     darum. Aber die Wesen auf dieser Welt, die wir erschaffen haben, fangen irgendwann an, ihre eigenenK I-Projekte zu entwickeln, und die ganze Sache geht von vorne los. Da sind dann alle Vorstellungen von Gott beim Teufel, oder? Das ist   … Im Prinzip ist es so wie dein Spiel. Da läuft es doch genauso.»
    «Nicht ganz.» Dan schüttelt den Kopf. «Das geht gar nicht. Darum ist das ganze Spiel ja auch nur ein Gedankenexperiment. Wo
     sollte denn die Energie dafür herkommen? Wo kriegt man den ganzen Strom her, mit dem so etwas läuft? Und wer baut den Server?
     Das ist alles kompletter Irrsinn. Genau wegen so was haben wir keine magischen Kräfte. Wenn man wissen will, wie die Welt
     funktioniert, muss man sich mit den Gesetzen der Thermodynamik befassen, nicht mit ein paar abgefahrenen Theorien über künstliche
     Intelligenz. Fangt mit der Entropie an, da erfahrt ihr alles, was ihr wissen müsst.»
    Esther sieht nicht sonderlich überzeugt aus.
    «Vielleicht sind wir ja alle nur ein Gedankenexperiment», gebe ich zu bedenken. Obwohl ich es eigentlich als Scherz gemeint
     habe, kommt es nicht ganz richtig raus und klingt viel bedrohlicher, als ich beabsichtigt hatte. Es ist zu spät, um noch ein
     Grinsen hinterherzuschicken. Ein paar Sekunden lang verschlägt es uns allen die Sprache, und die Atmosphäre wird ein bisschen
     gruselig.
    «Tja, sorry, Mädels», sagt Dan schließlich. «Ich wollte uns nicht das Abendessen mit diesem ganzen Mist über den Sinn des
     Lebens versauen. Eigentlich wollte ich nicht mal die Skizzen zeigen. Das war doof. Es ist ja sowieso nur ein Spiel.»
    «Aber wozu dieses ganze irreale Projekt?», frage ich Dan. Ich habe mich entschlossen, nicht zu erwähnen, dass mir noch vor
     einer Stunde, als wir in der Schlange vor der Essensausgabe standen, das ganze Leben wie ein Videospiel vorkam. Normalerweise
     hätte ich das sicher erzählt, es ist schließlich ein interessanter Zufall. Aber ich habe Angst, dass Esther dann anfängt,
     von Fehlern in der Matrix zu reden, und nehme mirdeshalb vor, Dan später davon zu erzählen. Falls ich dann noch daran denke.
    «Keine Ahnung.» Er zuckt die Achseln, denkt über die Frage nach. «An KI dachte ich sowieso, wegen

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