PopCo
in der Cafeteria fast die Letzte in der Schlange. Dan hat am Eingang auf mich gewartet, so sind wir immerhin
zu zweit; und wieder stehen wir vor dem Pärchen vom Mittagessen – dem dunkelhaarigen Typen und der Frau mit den Federohrringen –, als wäre dieser Cafeteriabesuch ein so kleiner Baustein im Videospiel unseres Lebens, dass dafür nur ein einziger Programmablauf
programmiert wurde.
«Aha, da sind ja unsere Vegetarier», sagt die Frau an der Durchreiche und schaut an Dan und mir vorbei zu den beiden hinter
uns. «Ziemlich viele Vegetarier», bemerkt sie mit leisem Lachen. «Na dann, guten Appetit.» Sie stellt vier Teller mit einer
rötlichen Masse bereit.
Diesmal war es offensichtlich die falsche Entscheidung (nicht, dass uns etwas anderes übriggeblieben wäre): Die Fleischesser
bekommen Steak au Poivre.
«Was soll’s?» Dan zuckt die Achseln. «Es steht ja genug Käse auf dem Tisch.»
«Ich glaube, ich werde sowieso Vegetarierin», sage ich testhalber. Obwohl ich Steak au Poivre liebe, kann ich meinem Magen
im Augenblick nichts Anspruchsvolles zumuten. Und vielleicht ist die rote Masse ja ganz warm und tröstlich, womöglich sogar
mit Linsen, was mir nur recht wäre.
Als ich durch den Raum gehe, knistert der Zettel mit dem Geheimtext in meiner Tasche. Esther sitzt schon an einem Tisch und
winkt. «Ich habe euch Plätze freigehalten», ruft sie. Es ist der letzte freie Tisch, genauer gesagt der einzige Tisch im Raum,
der nicht voll besetzt ist und auch keine Chance mehrhat, es noch zu werden. Das gibt mir das angenehme Gefühl, unpopulär zu sein, einer Art Nicht-Clique anzugehören. Als ich
mich umschaue, entdecke ich Carmen und Chi-Chi, die mit ein paar K-Leuten zusammensitzen. Sie tragen allesamt japanische T-Shirts mit sinnlosen englischen Sprüchen darauf: «
Cream Pain
», «
Oops! Hair »
, «
Bullying Peter
», «
Moon Hazard: Space »
und solcher Mist. Soweit ich weiß, gab es mal eine kleine Website, die diese Dinger vertrieb und dann von PopCo aufgekauft
wurde. Allerdings wurde sie dann keineswegs mit K verschmolzen, sondern einfach so gelassen, wie sie war; dafür bekam sie
den zusätzlichen Marketing-Push, den einem eben nur PopCo geben kann. Die K-Leute lachen die ganze Zeit (wenn sie nicht gerade durchdrehen). Das habe ich nie so recht kapiert. So lustig kann das Leben doch
gar nicht sein.
Der Typ und die Frau aus der Schlange setzen sich ans andere Ende des Tisches und schnappen sich den Rotwein, bevor wir eingreifen
können. Diesmal steht aber gleich eine neue Flasche auf dem Tisch, nachdem sie den größten Teil der ersten in ihre Gläser
geleert haben.
«Cool», sagt Dan und greift danach. «Wein, die Damen?»
«Ja», sage ich. «Danke.»
«Nein», sagt Esther. «Ich trinke keinen Alkohol.» Sie hat auch einen Teller mit dem roten Zeug vor sich.
«Du bist wohl auch mit dem Vegetariertrick reingefallen, was?», fragt Dan.
«Wie?», fragt sie verständnislos zurück und besinnt sich dann einen Moment. «Ach so, verstehe. Nein, ich bin wirklich Vegetarierin.
Veganerin, um genau zu sein.»
Ich mustere Dan verstohlen. Von ihm kann die Nachricht nicht sein, das würde ich ihm anmerken. Aber ich werde deswegen jetzt
auf keinen Fall in Panik geraten. Ich weiß ja nicht einmal, was drinsteht. Das dürfte sich allerdings schnell herausfinden
lassen: Die Sache sah mir schwer nach Vigenèreaus. Zehn Minuten, vielleicht auch etwas mehr, weil es nicht besonders viel Text ist. Bei Chiffren im Vigenère-Stil braucht
man immer so viel Text wie möglich, weil man dann leichter Muster erkennen kann. Über dreihundert Jahre lang galt Vigenères
Verschlüsselungsmethode als nicht dechiffrierbar, doch wenn man den Trick einmal raushat, ist sie erstaunlich leicht zu knacken
und beschert einem sehr schöne Erfolgserlebnisse.
Eine Cäsar-Verschiebung kann es nicht sein, die erkennt man auf den ersten Blick. Die Cäsar-Verschiebung ist die simpelste
aller Verschiebechiffren und beruht auf zwei identischen Alphabeten, von denen eines schlicht in die eine oder andere Richtung
«verschoben» wird. Wenn beispielsweise A durch Z verschlüsselt wird, hat eine Verschiebung von -1 stattgefunden: Jeder Buchstabe
wird durch denjenigen ersetzt, der ihm im Alphabet vorausgeht. Bei einem System mit einer Verschiebung von -1 wüsste man rasch,
dass ein C im chiffrierten Text eigentlich ein D ist und immer so weiter. Nach Ansicht der Science-Fiction-Fans ist das
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