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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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ist auch für
Buddhisten kein Fremdwort, und niemandem Schaden zuzufügen
gehört zu den Regeln, die, unabhängig vom Glauben,
für alle Menschen gelten sollten.
    Wahrscheinlich bin ich
der einzige Pazifist mit einer Waffe, denkt er auf dem Weg zu
seinem Büro. Vor seinem inneren Auge steht er in der
Schießanlage, die rechte Hand um den Leichtmetallgriff der
Waffe. Er sieht sich die Zündstiftsicherung lösen und
spürt, wie dabei sein Nacken verspannt. Das ist dieser
Augenblick purer Abscheu, bevor der Übungsfilm startet, auf
der Videowand Gestalten hinter Häusermauern auftauchen und
blitzschnell ihre Hände nach oben reißen. Die Sig-Sauer
antwortet mit hartem Knall. Das Geräusch springt ihn an, ist
bedrohlich laut und vibriert durch seinen Körper. Die 850
Gramm rostfreier Stahl liegen ihm wie Blei in der Hand. Er
schießt sich frei. Schuss für Schuss sinkt die mentale
Hemmschwelle.
    Schon der Gedanke
daran ruft Schmerzen in Nacken und Schulter hervor. Swensen
fährt unruhig mit dem Schreibtischstuhl hin und her, zieht die
Liste der Münzhändler in Schleswig-Holstein, die er
gestern Abend noch im Internet zusammenrecherchiert hat, unter
einem Papierstapel hervor. Aber er ist nicht konzentriert bei der
Sache. Er erinnert sich an die Grundausbildung an der
Polizeischule. Im Entscheidungstraining sollte der voreilige
Schusswaffengebrauch möglichst ausgeschlossen werden. Im Kopf
hört er wieder die mahnende Stimme seines Ausbilders:
»Wenn du in eine Stresssituation geraten solltest, wirst du
in den meisten Fällen nicht das machen, was du willst, sondern
höchstens das tun, was du kannst!«
    Nichtschießausbildung,
hatten die jungen Beamten damals öfter
gespöttelt.
    Der
situationsangepasste Schusswaffengebrauch ist eine schizoide
Paradoxie, denkt Swensen, während er nebenbei die Namen auf
der Liste der Händler überfliegt. Er ist heilfroh, noch
nie in eine Situation geraten zu sein, in der er seine Waffe
wirklich abfeuern musste.
    »Je aufrichtiger
wir uns einer Aufgabe widmen, desto wichtiger ist unsere
Verpflichtung zu Sanftheit und Achtsamkeit«, mahnt die Stimme
von Meister Rinpoche. »Achtsamkeit lässt uns die Dinge
erkennen, sobald sie vor unseren Augen erscheinen. Das hilft uns,
sie nicht ins Unermessliche zu vergrößern. Eine Aufgabe
ist es, Dinge winzig zu lassen. Wenn sie winzig bleiben, werden sie
nicht gleich zum dritten Weltkrieg und führen nicht zu
gewaltsamer Handlung. Achtsamkeit ist die heilsame Kraft der
Gewaltlosigkeit.«
    Der Hauptkommissar
greift zum Telefonhörer und tippt die oberste Nummer von
seiner Liste ein.    
    »Münzhandel
Dreher!«
    »Jan Swensen,
Husumer Kripo. Wir haben eine Bitte und sind dringend auf Ihre
Mithilfe angewiesen, Herr Dreher. Gestern wurde bei einem Einbruch
eine beträchtliche Anzahl von tunesischen Goldmünzen
gestohlen. Falls in den nächsten Tagen eine verdächtige
Person bei Ihnen auftaucht und solche Münzen anbietet, wenden
Sie sich bitte unverzüglich an Ihre nächste
Polizeidienststelle oder verständigen Sie direkt die Kripo
Husum. Ich gebe Ihnen unsere Nummer
…«
    *
    Die Journalistin Maria
Teske ist spät dran. 9.54 Uhr zeigt die Turmuhr an der
Marienkirche. Noch sechs Minuten bis zu dem vereinbarten Termin.
Das dürfte noch zu schaffen sein, denkt sie trotzig,
überquert direkt vor dem grau gestrichenen Giebelhaus der
Husumer Rundschau die Norderstraße und eilt mit ausladenden
Schritten gleich gegenüber durch den kleinen Stichweg hinter
der Kirche zur Süderstraße hinab. Als sie das kleine,
flache Eckgebäude passiert, in dem sich mehrere kleine
Läden aneinanderreihen, sieht sie aus dem Augenwinkel ihr
durchsichtiges Spiegelbild in der Schaufensterscheibe vom
Schlüsseldienst. Ein ungewohnter Anflug von Eitelkeit
lässt sie stoppen und kurz mit den Händen das struppige
Haar herrichten.
    Hast du das wirklich
nötig, schießt es ihr kurz durch den Kopf. Obwohl ihr
aus beruflichen Gründen die Weibchen-Rolle in bestimmten
Momenten nicht so ganz unbekannt ist. Immerhin soll ihr
Interviewpartner in Insiderkreisen eine kleine Berühmtheit
sein. Die Information stammt von Think Big persönlich,
Chefredakteur Theodor Bigdowski, auf dessen Wissen in den meisten
Fällen Verlass ist. Der Mann besitzt eine erstaunliche
Allgemeinbildung, selbst, wenn es sich um so etwas Abwegiges wie
Puppentheater handelt.
    »Maria, du bist
meine letzte Hoffnung«, hatte er sie heute in der Früh
mit hochrotem Kopf, Blutdruck 180 zu 110 ihrer Einschätzung
nach,

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